Schatten der Lust
Adrian: Unsterblichenmagie, die zusehends stärker und mächtiger wurde, obwohl sie den Kreis noch nicht einmal geschlossen hatten. Hunter ließ einen Strahl davon zu Tain fließen, so dass er dessen Handgelenk umwickelte.
Tain, der neben Kehksut stand, fuhr herum. Seine blauen Augen funkelten vor Kraft. »Nein!«
»Doch!«
Hilfesuchend blickte Tain zu Kehksut, aber der Dämon hatte immer noch seine Hand erhoben und konzentrierte seine gesamte Energie darauf, die Lebensmagie auszulöschen.
Nun hörte Adrian auf, der Nette zu sein. Erbarmungslos zog er die Magie fester um Tain und zerrte seinen Bruder in den Kreis. Kaum war Tain bei ihnen, klatschte Adrian ihm eine Hand auf die Wange und zwang ihn, das Tattoo auf Hunters Bauch zu berühren. Sogleich passierte etwas mit Adrians Körper, und der Kreis schloss sich.
Vollständig.
Tain begann zu schreien, als Nächster Hunter, dann Darius, dann Kalen und schließlich Adrian.
Hunter krümmte sich beinahe unter der Wucht der Empfindungen. Die Umrisse des Pentagramms, das Tains Hand bedeckte, brannten wie Höllenfeuer, und zugleich fühlte er alle Verletzungen, alle Schrecken, alle Schnitte, die der Dämon Tain zugefügt hatte – siebenhundert Jahre Todesqualen. Hunter erlebte Tains Angst, seine tiefe Verzweiflung, die Hoffnungen, die eine nach der anderen erloschen.
Kein Wunder, dass Tain vollkommen wahnsinnig geworden war! Niemand konnte das durchleiden und nicht irrewerden, nicht einmal
ein Unsterblicher. Der Schmerz und der Wahn tobten in Hunter, bis er nur noch schrie.
Der Dämon sog weiter alle Lebensmagie in sich auf, um statt ihrer Todesmagie fließen zu lassen. Hunter dachte verbittert, dass Kehksut gar nichts tun musste – die Unsterblichen zerrissen sich selbst für ihn.
Der Schmerz übertrug sich von seiner Hand auf Darius’ Pentagramm, durchfuhr dessen Leib und wanderte von dort zu Kalens. Darius brüllte vor Angst, dass die Adern an seinem Hals hervortraten.
Und dann warf Kalen den Kopf in den Nacken. Sein Schrei durchschnitt die Nacht. Adrian stöhnte vor Pein, besaß jedoch die Geistesgegenwart, die Lebensmagie zu bündeln, die sie alle durchströmte, und sie Tain zufließen zu lassen.
Wieder und wieder wanderte sie im Kreis. Tains Finsternis fuhr durch sie hindurch, geteilt und absorbiert von jedem Bruder, während ihre Lebensmagie auf Tain gerichtet war. Hunter wusste, dass er den Qualen ganz leicht entgehen konnte. Er brauchte nichts weiter zu machen, als Tains Hand wegzustoßen und aus dem Kreis zu treten. Er könnte sich befreien, musste Tains Leiden nicht nachleben.
Aber er tat es nicht. Stattdessen hielt er Tains Hand fest auf sein Tattoo gepresst, auch wenn seine Hände schrecklich schwitzten. Genauso fest drückte er auf Darius’ Nacken. Darius seinerseits hielt gleichfalls stand und ließ auch Kalen nicht los.
Sie alle blieben, wo sie waren, schreiend vor Schmerz, Einsamkeit und Verzweiflung, die sie Tain nahmen und unter sich teilten.
Fünf Unsterbliche
, hatte Leda gesagt.
Fünf Göttinnen
. Ein Anfang.
Plötzlich sackte Hunter auf die Knie, unterbrach jedoch nicht den Kontakt zu Tain oder Darius. Kalen fluchte. Darius wand sich vor Schmerz und rang nach Luft.
»Ich kann nicht …«, keuchte er.
»Du kannst, wenn ich es kann«, hauchte Hunter. »Willst du etwa, dass ich dir überlegen bin?«
»Niemals«, knirschte Darius. »Niemals!«
Tain kniete neben ihm, aschfahl, seine Stimme nur ein Krächzen. »Zum Teufel mit euch!«, flüsterte er.
Er klang nicht mehr ganz so wahnsinnig. Hunter war natürlich nicht so blöd, sich deshalb gleich zu entspannen und zu glauben, das Schlimmste wäre überstanden. Er hielt Tain weiter fest, bis er schließlich spürte, wie die Lebensmagie durch den Schmerz drang, durch den dunklen Wahnsinn, der sie in Feuerketten bannte.
Für wenige Momete war er nicht sicher, ob der Schmerz nachgelassen hatte. Kaum begann er zu hoffen, fürchtete er, dass es vergebens war. Das hatte Tain durchlitten, dachte er, Tag für Tag, siebenhundert Jahre lang.
Es verging noch eine Weile, ehe er erkannte, dass der Schmerz wirklich weniger wurde und die Unsterblichenmagie begann, ihn zu heilen. Ihm wurde außerdem klar, dass die Pein nie ganz aufhören würde. Tain war viel zu schwer verletzt worden, innerlich wie äußerlich zerstört. Die Narben würden ihnen allen bleiben.
Als es endlich vorbei war, stellte Hunter fest, dass er nicht mehr schrie. Er lag gekrümmt auf der Seite, hielt jedoch nach wie vor
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