Schatten der Lust
nicht hätte geschehen müssen, wenn du eine Minute zuvor anders gehandelt hättest.«
Leda stemmte ihre Hände gegen seine Schultern, obwohl sie ihn ebenso wenig wegstoßen konnte wie einen zwanzig Tonnen schweren Felsen. »Ich verrate dir einmal etwas, Hunter. Es dreht sich nicht alles nur um dich. Und jetzt geh mir aus dem Weg, damit ich frühstücken kann! Ich habe Hunger.«
Er rührte sich nicht vom Fleck und sah sie weiter mit einem undurchdringlichen Ausdruck an. Leda spürte den Schmerz und die Wut, die er gewöhnlich mit Wortplänkeleien überspielte. Vielleicht linderte die Zeit Schmerzen bei Unsterblichen nicht wie bei Menschen. Wer so lange lebte und so vieles sah, in dem blieb jede Qual womöglich für immer erhalten.
Schweigend beobachtete sie, wie der Ausdruck in seinen Augen nach und nach an Strenge verlor, während er sich bemühte, seine Gefühle besser zu verbergen. Dann schnupperte er und runzelte die Stirn. »Jemand brät Speck.«
»Keine Sorge, du kannst sicher ein vegetarisches Frühstück bekommen.«
Als sie erneut an ihm vorbeiwollte, ließ er sie gehen. Sie hörte, dass er ihr folgte. Offenbar war für ihn das Thema erledigt, denn er blieb stumm. Obwohl Leda traurig war, rang sie sich ein Lächeln ab und nahm sich fest vor, noch nicht aufzugeben.
Das Wohnzimmer war leer, aber in der geräumigen Küche fanden sie Samantha, eine langbeinige Blondine und einen dunkelhaarigen Mann vor, der sich am Herd die Seele aus dem Leib kochte und brutzelte.
Samantha begrüßte Leda. Sie wirkte ausgeruhter, auch wenn sie nach wie vor blass und besorgt aussah. »Das ist Kelly«, stellte sie die blonde Frau vor. »Sie wohnt nebenan und sagt, ihr Chauffeur könne uns gern fahren, wenn wir ihn brauchen. Wir sind also wieder mobil.«
Leda blickte zu der wunderschönen jungen Frau. Sie trug ein Leinenkleid und Sandalen und schien sich in Adrians Küche sehr heimisch zu fühlen. »Du kommst mir irgendwie bekannt vor.«
»Kelly O’Byrne«, murmelte Hunter hinter ihr, »die Schauspielerin. Sie war unter anderem in dem Film
Last Summer
zu sehen.«
Jetzt konnte Leda sie auch zuordnen. »Stimmt, den fand ich gut!«
Hunter fuhr fort: »Und in
What’s New, The Twentyone Brigade
sowie
Total Shutdown
.«
Kelly betrachtete ihn mit einer Mischung aus Verwunderung und Respekt. »Die wenigsten wissen, dass ich in
Total Shutdown
mitgespielt habe. Hat Adrian dir das erzählt?«
Achselzuckend sah Hunter über den Tresen hinweg zum Koch. »Nein, ich gehe oft ins Kino. Was ist das?«
»Keine Bange«, beruhigte Samantha ihn. »Ich habe ihm schon von deiner interessanten Abneigung gegen Fleisch erzählt.«
Hunter ignorierte sie. »Seit wann hast du den Vampirliebhaber?«, fragte er Kelly.
Sie wurde kreidebleich. »Woher weißt du das?«
»Du versuchst, die Bissmale zu verstecken, aber ich weiß, worauf ich achten muss.«
Unsicher hob Kelly eine Hand an den Seidenschal um ihren Hals. »Es ist Septimus, falls du es unbedingt wissen willst. Er rief gestern Abend an und sagte Bescheid, dass ihr kommt. Deshalb bin ich heute Morgen mit meinem Koch herübergekommen.«
»Septimus tut eine Menge für uns«, bemerkte Samantha trocken.
»Ihm gefällt nicht, was vor sich geht. Außerdem hält er zu Adrian und will ihm helfen.«
»Weil Adrian ihm sonst in seinen Untotenarsch tritt?«, fragte Hunter, der immer noch den Koch beobachtete.
»Ungefähr so, ja.«
Dann wurde das Gespräch von einem Anruf Septimus’ unterbrochen. Hunter redete im Wohnzimmer länger mit ihm. Als er zurückkam, stürzte Leda sich gerade auf eine herrliche Kombination aus Eiern, Kräutern, Tomaten und Käse.
»Er will sich mit mir treffen und schickt seinen Wagen«, erklärte Hunter. »Wieso ist ein Vampir am Tag wach?«
»Er braucht nicht viel Schlaf«, antwortete Kelly. »Septimus ist ein Ewiger.«
»Das weiß ich. Wo ist der Kaffee?«
Der Koch Manny hatte die Bohnen frisch gemahlen und reichlich Kaffee gekocht, von dem Hunter drei Tassen herunterspülte. Eine Weile sagte niemand etwas, denn die anderen aßen. Bis sie zu Ende gefrühstückt hatten, war Septimus’ Wagen da, diesmal wurde er von einem Menschen gefahren.
Hunter stieg allein ein, nachdem er die anderen angewiesen hatte, im Haus zu bleiben. Dabei hielt er seine Worte allgemein, ohne Leda direkt anzusprechen. Sie tat, als würde es ihr nichts ausmachen, dass der Einzige, den Hunter mit Namen anredete, Mukasa war.
»Bleib hier und bewache sie!«, sagte er zu dem Löwen.
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