Schatten der Lust
mit der Wirklichkeit oder, besser gesagt, mit meiner Wahrnehmung. Und er schnitt mir mit meinem Schwert in die Hand.«
Unwillkürlich berührte Leda seine Hand, die vollkommen unversehrt war. Er schüttelte den Kopf. »Als ich wieder zu mir kam, blutete es nicht mehr. Aber ich habe Tain gesehen, den echten Tain. Er ist total durchgedreht, der Liebessklave eines Dämons, und er wollte mir weismachen, dass es richtig wunderbar ist, dass ich zu ihm kommen soll.«
Leda malte unsichtbare Linien auf Hunters Handfläche. »Dämonen versuchen immer, es wundervoll aussehen zu lassen. Sie versprechen einem die intensivsten Wonnen, die man je erlebt hat.«
»Klar, während sie dir die Lebenskraft aussaugen. Das ist wie eine Droge. Man lechzt nach Euphorie, bei der einem das Hirn wegschmilzt.«
»Deshalb sind Dämonen böse.« Leda zögerte, weil sie nicht wusste, wie sie ausdrücken sollte, was sie ihn fragen wollte. »Hunter, ich weiß, dass du gehen wirst, wenn das hier vorbei ist. Nein.« Sie legte ihre Finger auf seine Lippen, als er widersprechen wollte. »Lass mich ausreden! Wenn wir diesen Kampf gewinnen, wenn ihr Tain rettet und den Dämon tötet, möchte ich, dass du mir ein Kind schenkst. Ich wünsche mir Kinder, Hunter – und etwas, das mich an dich erinnert.«
Schlagartig wurde er sehr still und ernst. Hunter mochte sich bisweilen albern oder begriffsstutzig aufführen, doch nichts täuschte über die Klugheit hinweg, die Leda in seinen grünen Augen erkannte. In den zwei Jahrtausenden seiner Existenz hatte er vieles gesehen – und großen Kummer erfahren.
»Das wäre ein Fehler«, sagte er schließlich ruhig.
»Ich bitte dich nicht aus einer Laune heraus. Hunter, ich wünsche es mir wirklich sehr. Warum wäre es falsch?«
»Da fallen mir gleich tausend Gründe ein.«
»Und ich könnte genauso viele Gründe
dafür
nennen«, konterte sie.
Er sah sie an. »Ich weiß besser als die meisten, dass nichts bleibt – Dinge nicht, Leben nicht, Menschen nicht.«
»Ja, natürlich«, fiel Leda ihm ins Wort. »Ich weiß, das Leben ist kurz und schnell vorüber. Also nehme ich mir, was ich kriegen kann, und genieße es, so gut ich kann, solange es dauert.«
Hunter schien verblüfft. »Genau das mache ich.«
»Nein, tust du nicht. Du lässt dich auf gar nichts ein. Du spielst den bösen Buben und gibst vor, nichts zu empfinden, damit du am Ende weggehen und sagen kannst:
War’s nicht spaßig mit uns?
Ich weiß, dass du über kurz oder lang auch von mir genug haben wirst und verschwindest, ohne dass ich dabei ein Wort mitzureden hätte. Auch wenn es dir vielleicht vermessen vorkommt, ich hätte nun einmal gern etwas von dir, das mir bleibt, wenn du weg bist.«
Ihre Brust hob und senkte sich, weil sie zu angestrengt atmete, und sie ballte die Fäuste.
»Leda.« Er berührte sie nicht, doch seine Augen hielten sie buchstäblich fest. »Ich bin kein Mensch. Ich bin ein Unsterblichenkrieger, der von den Göttinnen erschaffen wurde, um das Böse von der Welt fernzuhalten. Ich kann dir nicht geben, was du dir wünschst.«
Sie sprang auf und ging ein paar Schritte auf Abstand. Der Duft nach Frühstück ließ ihren Magen knurren, und sie wusste, wenn sie länger mit Hunter in einem Zimmer blieb, würde sie ihn schlagen wollen.
Schneller, als sie es für möglich gehalten hätte, war er zwischen ihr und der Tür. »Leda!«
»Was ist?«, fragte sie schroff. »Bist du noch nicht fertig damit, mir zu erzählen, was ich fühlen darf und was nicht?«
»Mich hat schon einmal eine Frau geliebt«, begann er mit rauher Stimme. »Sie ist für jene Liebe gestorben. Sie wollte Kinder von mir, und diese starben aus demselben Grund.«
»Willst du behaupten, dass es ihre Schuld war?«
»Nein, es war meine. Wäre ich weggegangen, hätte sie ein normales Leben führen können.«
»Das war vor tausend Jahren, nicht?«, fragte Leda. »Dort, wo heute Ungarn ist, hast du gesagt. Ich wette, ihre Lebenserwartung wäre sowieso nicht besonders hoch gewesen, und du hast ihr wahrscheinlich eine unermessliche Freude bereitet, solange eure Beziehung dauerte. Du bist nur ein Halbgott, Hunter. Du hast nicht zu entscheiden, in wen wir uns verlieben oder für wen wir sterben.«
Er bedachte sie mit einem strengen Blick. »Hast du überhaupt eine Ahnung, wie es sich anfühlt, wenn jemand deinetwegen stirbt? Gar nicht gut! Es zerreißt dich. Du verbringst den Rest deines Lebens damit, dich zu fragen, ob du es hättest verhindern können, ob es
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