Schatten der Lust
jetzt rede!«
Samanthas Vater nannte sich Fulton. Das war nicht sein Dämonenname, der unaussprechlich war, und auch nicht sein echter, der streng geheim gehalten wurde. Wer nämlich einen Dämon bei seinem richtigen Namen rief, der kontrollierte ihn. Deshalb verwendeten Hexen, die mit Todesmagie experimentierten, Kreise, Amulette und Schutzzauber, wenn sie Dämonen herbeiriefen. Der Dämon kam zu ihnen, doch solange die Hexe seinen wahren Namen nicht kannte, hatte er die Kontrolle, nicht sie.
Fulton war ein niederer Dämon. Er konnte immer noch verführerisch sein, einem Menschen die Lebensessenz aussaugen und es für ihn wie ein phantastisches Erlebnis aussehen lassen. Aber Fulton mangelte es an der überwältigenden Macht der ewigen Dämonen. Und offenbar machte er sich ernstlich Sorgen um Samanthas Mutter.
Sobald Leda die beiden dazu gebracht hatte, sich halbwegs zu beruhigen, bat sie Fulton, alles zu erzählen, was er über Joannes Verschwinden wusste.
Viel war das nicht. Sie waren in einem Club in der Stadt verabredet gewesen, und als Joanne, die sich nie verspätete, nicht gekommen war, war Fulton zu ihrem Haus gefahren. Bei seiner Ankunft dort fand er das untere Stockwerk verwüstet vor und Blut in der Küche.
»Hast du die Polizei gerufen?«, fragte Leda.
»Nein, ich telefonierte mit Freunden. Die Polizei hätte wahrscheinlich nur mich verhaftet. Aber bis ich ein paar Dämonen zusammengetrommelt hatte, die mir helfen konnten, war Samantha da und holte die Polizei. Deshalb musste ich mich im Hintergrund halten. Danach war Samantha weg, und eine Dämonengang zog in die Straße ein. Ich kam nicht mehr ins Haus. Gestern sah ich euch und bin euch bis hierher gefolgt. Aber die verfluchte Lebensmagie sperrt mich aus, von dem Löwen ganz zu schweigen.«
Samantha beäugte ihn angewidert. »Ich finde deine Geschichte reichlich absurd. Wie bist du überhaupt ins Haus gekommen? Meine Mutter hat es vor Dämonen geschützt.«
»Nicht vor mir. Und, ja, die Tür war abgeschlossen, falls das deine nächste Frage ist. Ich habe einen Schlüssel.«
Samantha wurde sehr blass. »Du lügst! Sie hasst dich!«
Fulton bedachte sie mit einem vernichtenden Blick. »Es gibt eine Menge, was du nicht über deine Mutter weißt. Ihr war klar, dass dir ihre Beziehung zu mir nicht passt. Deshalb haben wir uns heimlich getroffen.«
»
Beziehung?
Ist das eine Beziehung, wenn du sie in Dämonenclubs lockst, wo du sie verführen kannst? Sie hatte Angst vor dir.«
»Zuerst ja, aber das änderte sich. Ich kann nichts dagegen tun, dass es dir nicht gefällt. Das war eine Sache zwischen deiner Mutter und mir. Wärst du nicht so angeekelt gewesen, weil dein Vater ein Dämon ist, hätten wir eine Familie sein können.«
Samantha verdrehte die Augen. »Du müsstest dich einmal reden hören!
Eine Familie!
«
»Du weißt gar nichts!«, erwiderte Fulton.
Leda winkte erneut ab. »Wenn ihr alle drei wieder vereint seid, dürft ihr euch gern gegenseitig an die Gurgel gehen. Aber erst einmal suchen wir Joanne.«
Zuerst sahen beide wütend zu Leda, nickten dann aber.
Leider wusste Fulton viel zu wenig, wie Leda feststellte. Sie hatte gehofft, dass der Dämon eher sagen könnte, wie Samanthas Mutter aus dem Haus entführt wurde. Bisher mussten sie lediglich davon ausgehen, dass Joanne sich gewehrt hatte und von jemandem besiegt wurde, der durch die verschlossenen Türen und starken Schutzzauber gedrungen war.
Was die Möglichkeiten auf etwas wie einen starken Dämon eingrenzte. Blieb allerdings die Frage, warum ein starker Dämon Samanthas Mutter entführen wollte. Im Haus hatte Leda nicht annähernd die Dämonenmacht gespürt wie bei dem Angriff auf ihre Insel, aber der Gegenzauber heute war heftig gewesen. Er konnte unmöglich von einem durchschnittlichen Dämon stammen.
Sie wünschte, Hunter wäre nicht Hals über Kopf verschwunden, denn er hätte ihr sagen können, ob ihre Theorie einen Sinn ergab, und ihr mit seinem Wissen geholfen. Aber er hatte natürlich die erste Gelegenheit beim Schopfe ergriffen, aus dem Haus zu kommen, weil Leda ihm unbedingt vorwerfen musste, dass er keine langfristige Beziehung wollte.
Jetzt war sie wütend auf sich. Was fiel ihr ein, Samantha und deren Vater vorzuwerfen, sie würden sich von ihren Gefühlen leiten lassen, statt dringende Probleme anzugehen, wenn ihr dasselbe bei Hunter widerfahren war? Kein Wunder, dass er es gar nicht erwarten konnte, hier wegzukommen! Er war ein unsterblicher Halbgott.
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