Schatten der Vergangenheit (German Edition)
trank des öfteren über einen einfach Schwips hinweg.
Es gab Tage, ja Wochen, in denen er weder Pinsel, noch Spachtel oder Meißel in die Hand nahm, sondern nur auf seinem Klavier herumschlug und eine Flasche Wein nach der anderen trank. Ihn, August Neville, hatte immer geärgert, dass seine Kunst als Dekoration von Reichen und Schönen missbraucht wurde, die ein Bild von ihm nicht wegen der Aussage kauften, sondern weil es entweder zur Wohnungseinrichtung passte oder weil man einfach einen Neville in seiner Wohnung haben musste.
Er verweigerte seine Kunst seit einigen Jahren der Öffentlichkeit und verkaufte so gut wie kaum ein Werk mehr. Geld hatte für ihn nie eine Rolle gespielt. Er hatte das Haus in Paris, eine Villa in Südfrankreich, genug Geld um davon ansehnlich zu leben und er brauchte keinen Luxus, wenn man von den Flaschen guten Rotweins und schönen Frauen absah.
Aber an Frauen hatte es August ohnehin nie gemangelt. Selbst jetzt nicht, wo er die sechzig überschritten hatte, war er noch immer ein ansehnlicher Mann, wenn auch mit einem runden Bauch und einigen Falten, aber so war das Leben! Immerhin hatte er noch alle seine Zähne und Haare auf dem Kopf.
August Neville arbeitete an einer Steinfigur in seiner Werkstätte, als ihn seine einzige Tochter besuchte. Er sah nicht mal hoch, weil er ihren trippelnden Schritt erkannte und sie rief immer seinen Namen, kaum, dass sie bei der Türe hereinkam.
Er konnte sie auch schon Meter vorher riechen. Sie benutzte ein eigenartiges Rosenparfüm, das sie sich in Marokko gekauft hatte. Rosenöl mit einem holzigen Unterton, so hatte sie es ihm erklärt, eine Eigenmischung, wie alles an Lily. Lily hatte eine Vorliebe für einzigartige Dinge, wie auch für Philippe d´Arthois. Er mochte Philippe, obwohl und trotzdem hatte er mit keinem Wort lange erwähnt, dass Lily seine Frau war. Oder auch nicht war. Die Ehe war mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mal das Papier wert, auf dem sie festgehalten worden war. Der Priester oder wie auch immer der Mann hieß war sicher ein Laienschauspieler, der seine Brötchen in Las Vegas verdiente.
Lily, in ihrem knallroten Mantel, ihrem flachsblonden Haar und diesen tiefblauen, großen Augen war vielleicht das beste Werk, das August Neville je geschaffen hatte. So sah er es auf jeden Fall.
Sie war schön – ohne wenn und aber. Sie war perfekt und nicht nur, weil sie seine Tochter war. Gut, sie hatte ihre Flausen und sie hatte ihre Fehler, aber wer hatte die nicht? Sie hätte irgendeine Schule abschließen können, aber so war sie eben. Sie sammelte Erfahrung im Leben und nicht in der Schule. Zudem war sie jetzt vierundzwanzig und zu alt, um sie wieder auf die Schulbank zu schicken.
Ihre Flausen hatten wenigsten Charme, wie diese komische Blume, die sie heute wieder im Haar trug, aber sie sah auch nicht sehr gut gelaunt aus. Er brauchte nicht zu fragen, denn ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen, sah man, dass es nicht ihr bester Tag war. Die Laus, die ihr über die Leber gelaufen war, hieß Philippe.
„Was gibt es denn?“ fragte er gleich. Er hatte zwar nicht ihre Jugend mit ihr verbracht, aber die letzten Jahre hatte er sie beinahe täglich gesehen und so war er ihr näher gekommen als ihre Mutter es je war.
„Morgen, Papa“, begrüßte sie ihn und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Iiih, du bist nicht rasiert“, stellte sie fest und verzog angewidert das Gesicht.
„Ja, ja, ich hätte mich in Schale geworfen, wenn ich gewusst hätte, dass du kommst“, sagte er ironisch und grinste.
„Hättest du nicht, aber ist okay.“ Sie kannte ihn viel zu gut. Er hatte das letzte Mal einen Anzug getragen, als sein Vater starb und das war auch schon fünfzehn Jahre her. Er liebte seine Leinenhosen, seine Leinenhemden, die immer voll mit Farbe und Staub waren, aber er war Künstler und das entschuldigte für vieles.
Sie zog ihren Mantel aus, warf ihn über einen Stuhl und seufzte laut. Gleich würde er sie fragen und sie würde sich bei ihm ausheulen, wie immer.
„Erzähl, was gibt es?“ fragte er erwartungsgemäß und schlug mit dem Meißel ein Stück aus dem Marmor. Die Splitter landeten überall, auch auf Lily, die diese mit dem Handrücken von ihrem roten Mantel abklopfte.
„Was wird das denn?“ fragte Lily, ohne eine Antwort zu geben, und sah ihm über die Schulter. Er roch auch nach Knoblauch, stellte Lily erstaunt fest. Aß ihr Vater Knoblauch zum
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