Schatten der Vergangenheit (Junge Liebe) (German Edition)
mir steht und mich ebenso betröppelt ansieht wie ich sie. Doch im Gegensatz zu mir fängt sie sich relativ schnell und strahlt übers ganze Gesicht, was kein gutes Zeichen ist und weshalb ich eine klitzekleine Ohnmacht gerade sehr begrüßen würde. Die bleibt allerdings aus und somit habe ich schneller, als ich sie hätte abwehren können, den zierlichen Wirbelwind an meinem Hals hängen. Immerhin, wenn es mit erschlagen schon nicht klappt, sollte man erwürgen zumindest in Erwägung ziehen.
„Jammy“, quietscht sie mir aufrichtig erfreut ins Ohr und scheint ihre ohnehin schon ordentliche Umarmung noch um einiges zu festigen, was man ihr so auf den ersten Blick, anhand ihres schmächtigen Körperbaus, eigentlich nicht zutrauen würde. Doch offensichtlich entlädt sie gerade ihre gesamte Energie gebündelt in dieser Begrüßung. Dass ich dabei zusätzlich noch einen Tinitus erleide, macht den Kohl jetzt auch nicht mehr fett und kurz kommt mir der vage Verdacht, dass sie ihrem Bruder auf diese Art und Weise ja zu Patienten verhelfen könnte.
„Ich glaub es nicht. Lass dich ansehen“, schiebt sie mich ein Stück von sich, nur um mich direkt wieder an sich zu pressen, als sei ich der verschollene Sohn, für den sie mit ihren 29 Jahren eindeutig noch zu jung ist.
„Was, seit wann bist du wieder hier? Ich glaub es einfach nicht, du siehst umwerfend aus. Bist du noch zu haben? Ich wäre interessiert“, lacht sie herzhaft auf und ihre so unkomplizierte, frische Art erwärmt mir zum ersten Mal, seit ich hier bin, das Herz. Endlich fühle ich mich willkommen.
„Marc wird Augen machen, der fällt tot um“, redet sie unaufhörlich auf mich ein, während ihre Hände ruhelos über meinen Rücken streichen, als wolle sie damit prüfen, ob ich nicht nur eine Illusion ihrer Fantasie bin.
„Keine Angst, er lebt noch“, kann ich mir ein Seufzen nicht ganz verkneifen, weil ich mir nur eine halb so freudige Begrüßung auch von ihm irgendwie gewünscht hätte, was natürlich eine reine Träumerei meinerseits war, die von vornherein in einer Enttäuschung enden musste.
„Wie? Ihr habt euch schon gesehen? Er weiß, dass du hier bist? Wann …?“, löst sie sich nun doch wieder von mir und reicht mir fast beiläufig das Tuch, welches sie noch immer krampfhaft mit ihren Fingern umschlossen hatte, obwohl meine Nase sich offenbar ohne Hilfe erholt hat. Womöglich aufgrund des Schreckens über ihr plötzliches Auftauchen, dennoch versuche ich damit ablenkend wenigstens etwas Blut von meinen Fingern zu wischen.
„Gestern, Vorgestern …“, bin ich bemüht so unbeteiligt wie möglich zu klingen und schaffe es doch nicht, meiner Kehle ein weiteres resigniertes Seufzen zu verbieten.
„Dieser kleine Sauhund“, hindert mich Lissy allerdings daran, in Selbstmitleid zu zerfließen, weil sie mit dieser Betitelung ganz offen sichtlich ihren Bruder meint und meine Neugierde weckt, womit ihr meine Aufmerksamkeit absolut sicher ist.
„Ich dreh ihm den Hals um“, wettert sie hemmungslos und ziemlich aufgebracht durch den Laden, was mich gerade etwas verwirrt, weil ich ihr nicht wirklich folgen kann und ein fast scheues „warum denn?“, beinahe nur flüsternd herausbringe, woraufhin sie mich unverständlich anblickt und zusätzlich unfassbar ihren Kopf schüttelt.
„Da weiß er, dass mein Jammy wieder im Lande ist und sagt es mir einfach nicht“, wirkt sie jetzt plötzlich, gegensätzlich zu ihrem Ausbruch gerade, irgendwie enttäuscht, was mir direkt leid tut und ich nicht wirklich erpicht darauf bin, dass es vielleicht nur wegen mir Streit zwischen ihnen gibt, sodass ich bemüht bin, die Sache ein kleines bisschen zu entschärfen.
„Ach komm, er hat es vielleicht nur vergessen zu erwähnen“, muss ich schwer schlucken, bei dem Gedanken, dass es tatsächlich so sein könnte und setze umgehend „und kannste bitte endlich damit aufhören, mich Jammy zu nennen, das klingt so … so … wie, was weiß ich … Fruchtgummis?“, hintenan, um vom Thema Marc abzulenken.
„Früher war das ja mal witzig, aber aus dem Alter sind wir eindeutig raus, also ich, und mir wäre es echt lieber, wenn du mich einfach nur Ben nennst“, kann ich leider viel zu deutlich erkennen, dass ihr mein Einwand nicht unbedingt gefällt, aber sie nickt dennoch zustimmend, wenn sie auch im Ganzen ein bisschen enttäuscht wirkt.
„Ihr seid alle so schrecklich erwachsen geworden, tut mir leid“, ist es nun an ihr zu seufzen, weshalb ich sie ohne zu
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