Schatten Der Versuchung
nicht im wirklichen Leben. Sie hatten lange Jahre in Angst vor dem dunklen Schatten verbracht, der ständig im Hintergrund lauerte. Razvan hatte freiwillig einen Großteil dieser Last auf sich genommen, um Natalya zu befreien, aber sie war allein gewesen.
»Sie sehen so traurig aus«, bemerkte Gabrielle.
»Ich vermisse meinen Bruder.« Natalya rieb sich das Kinn an ihrem Knie. »Und diesen Klotzkopf Vik.« Sie war es gewöhnt, ohne Razvan auszukommen, aber Vikirnoff hatte es irgendwie geschafft, sich in ihr Herz zu stehlen, und schien sich von dort nicht mehr vertreiben zu lassen.
Gabrielle wechselte einen belustigten Blick mit ihrem Bruder. Sie hatten beide genug Zeit mit karpatianischen Männern verbracht, um die Vorstellung, dass einer von ihnen als Klotzkopf bezeichnet oder kurz und bündig »Vik« genannt wurde, als komisch zu empfinden. »Sie sind wirklich böse auf ihn, nicht wahr?«, bemerkte Gabrielle. »Joie klingt genauso, wenn sie Traian mal wieder am liebsten erwürgen würde.«
»Wenn er so ähnlich wie Vikirnoff ist, hat er wahrscheinlich nichts anderes verdient. Vik ist immer so ernst. Und ständig muss er einen herumkommandieren. Er kann nicht einfach freundlich bitten – nein, er muss aus allem einen Befehl machen. Als wären wir noch in der Steinzeit! Sie wissen schon, was ich meine. Der große Höhlenmensch, der sich auf die Brust schlägt.«
»Er sieht es wohl nicht gern, dass Sie gegen Vampire kämpfen?«, warf Jubal ein.
Natalya verdrehte die Augen. »Das ist noch milde ausgedrückt. Ich weiß immerhin, wann es besser ist, wegzulaufen und ein anderes Mal weiterzukämpfen, aber er will immer gleich die Last der ganzen Welt auf seine Schultern laden.«
Ein träges Grinsen breitete sich auf Jubals Gesicht aus. »Das ist gut. Schade, dass Gary nicht hier ist, um das zu erleben. Er liebt es, das Zusammenspiel zwischen karpatianischen Männern und ihren Frauen zu beobachten.«
»Und wo ist dieser Gary?«, fragte Natalya. Am liebsten hätte sie geweint oder Wände und Fußboden mit den Fingernägeln zerkratzt, doch sie würde nicht vor Fremden die Beherrschung verlieren.
»Gary ist zurzeit in den Staaten, aber er kommt bald zurück«, antwortete Gabrielle.
Natalya war allmählich der Verzweiflung nahe. Es kostete sie immer mehr Mühe, sich auf die Unterhaltung zu konzentrieren. »Kämpft er auch gegen Vampire?«
»Ja, aber auf seine Weise, nicht mit körperlichem Einsatz«, sagte Jubal. »Das Syndikat« – er runzelte die Stirn – »davon haben Sie schon gehört, oder? Menschen, die sich der Aufgabe widmen, sämtliche Vampire zu vernichten, doch sie können anscheinend nicht den Unterschied zwischen einem Vampir und einem Karpatianer erkennen. Wie auch immer, diese Leute hassen Gary. Er steht ganz oben auf ihrer Abschussliste.«
»Kämpfen Sie gegen Vampire?«, erkundigte sich Natalya neugierig.
Jubal breitete seine Hände aus. »Ich bin nicht besonders gut darin, aber ich lerne dazu. Bis vor Kurzem wusste ich nicht einmal, dass es Vampire gibt.«
»Benutzen Sie einen Flammenwerfer?«, wollte Natalya wissen. »Haben Sie einen? Wenn ich an einen Vergaser-Reiniger herankäme, könnte ich etwas viel Wirkungsvolleres zusammenbasteln als mit Haarspray.«
»Flammenwerfer scheinen eine fixe Idee von Ihnen zu sein.«
»Mussten Sie vielleicht schon einen Vampir an die hundert Mal umbringen, bis er endlich wirklich hinüber ist?« Natalya bog wieder ihre Finger durch. Ihre Muskeln begannen sich schmerzhaft zusammenzuziehen.
Jubal fiel auf, dass Natalyas Augen die Farbe veränderten und das schöne Meergrün zu einem seltsam milchigen Grau wurde. Ihr rotbraunes Haar verdunkelte sich zu tiefem Schwarz, in dem sich eigenartige Streifen abzeichneten. Er stieß Gabrielle mit dem Fuß an. Sie nickte. Auch sie hatte die Anzeichen wachsender Unruhe an Natalya bemerkt und spürte die bedrohliche Atmosphäre im Zimmer.
»Da die meisten Einheimischen Pferdefuhrwerke benutzen, stehen die Chancen, einen guten Vorrat an Vergaser-Reinigern zu bekommen, gleich null«, sagte Jubal.
»Schöner Mist.« Natalya stieß einen kleinen Seufzer aus. »Aber ich habe Slavica vorhin gebeten, mir ein paar Dosen Haarspray zu besorgen. Damit sollte ich eigentlich auskommen.«
»Hat Vikirnoff Ihre Erfindung schon gesehen?«, erkundigte sich Jubal.
Natalya warf ihm einen finsteren Blick zu. »Machen Sie sich ruhig über mich lustig, aber wenn Sie sich einen Kampf mit den Untoten liefern und diese Biester
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