Schatten Der Versuchung
für eine faustdicke Lüge. »Ich habe keine Angst. Ich bin wütend. Du hast mich irgendwie gebunden, oder?«
»Du meinst, so wie du mich gebunden hast?« Sein Ton war milde.
Sie spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss. »Vielleicht bin ich zu weit gegangen«, gab sie zu. »Ich hebe meinen Bann auf, wenn du dasselbe mit deinem machst.«
»Das ist nicht möglich.«
Er klang kein bisschen zerknirscht. Eigentlich verriet seine Stimme überhaupt keine Gefühlsregung.
Natalyas Atem entwich mit einem Zischen. »Es wäre mir lieb, wenn du das, was du gesagt hast, in eine Sprache übersetzen könntest, die ich verstehe. Jeder magische Bann kann aufgehoben werden, wenn man weiß, was man tut. Und ich weiß immer, was ich tue.«
Vikirnoff betrachtete nachdenklich ihr Gesicht. Natalya log wie gedruckt. Er konnte ihre Angst förmlich riechen. Sie wusste vielleicht nicht, was er getan hatte, aber sie spürte instinktiv, dass es etwas Unwiderrufliches war, das ihr Leben für immer verändert hatte. »Ich kann es nicht wortwörtlich übersetzen, doch sinngemäß ziemlich genau wiedergeben«, antwortete er. »Die Worte werden immer zuerst in unserer Sprache gesprochen und dann für die Frau in eine Sprache übersetzt, die sie verstehen kann, obwohl es auch ohne das bindend ist. Grob gesagt bedeutet es, dass ich dich als meine Gefährtin des Lebens beanspruche.«
Natalya schnappte nach Luft. Seine Stimme war sinnlich und faszinierend und übte jetzt genauso viel Macht auf sie aus wie in dem Moment, als er all diese Dinge zu ihr gesagt hatte, die sie nicht verstanden hatte.
»Ich gehöre zu dir«, fuhr Vikirnoff fort. »Ich gebe mein Leben für dich. Ich schenke dir meinen Schutz und meine Treue, mein Herz, meine Seele und meinen Körper. Ich nehme alles, was dein ist, in meine Obhut. Dein Leben, dein Glück und dein Wohlergehen werden für mich immer an erster Stelle stehen. Du bist an mich gebunden und für immer in meiner Obhut. Das ist die Übersetzung, die dem Inhalt am nächsten kommt. Die Männer meiner Spezies werden mit der Kenntnis dieser rituellen Worte geboren. Sie sind in der Lage, ihre Gefährtin aus ebendiesen Gründen zu binden, die du heute Abend vorgebracht hast.« Er hielt seine gebundenen Hände auf ihre Augenhöhe. »Du solltest mehr Respekt vor deinem Gefährten haben.«
»Okay.« Sie lief rastlos hin und her. »Okay, runter mit den Händen. Diese Runde geht an dich. Und jetzt nimm es zurück. Mach das Ganze rückgängig.«
Kapitel 6
V ikirnoff konnte den Blick nicht von Natalyas Gesicht wenden, auf dem sich Zorn und Verwirrung abzeichneten. Mit jedem Schritt, den sie machte, vollzog sich an ihrem Äußeren eine Veränderung. Ihre Haut begann zu leuchten, ihr goldbraunes Haar schimmerte an manchen Stellen hell, an anderen dunkel, als hätte es kaum wahrnehmbare Streifen, und strahlte selbst in der Dunkelheit vor Kraft und Licht. Auch ihre Augen waren eigenartig. Ihre Farbe wechselte ständig, war einen Moment meergrün und strahlend, um im nächsten wie fahles Perlmutt zu schimmern. Ihre fließenden Bewegungen wirkten fast animalisch, als sie völlig lautlos auf ihn zukam, den Blick starr auf sein Gesicht gerichtet.
»Auch wenn es in meiner Macht stünde, Natalya, würde ich es nicht tun.« Er konnte fühlen, wie im Zimmer eine sehr reale Macht entstand und die Atmosphäre elektrisch auflud. Natalya war wütend, und möglicherweise, gestand er sich ein, hatte sie Grund dazu. Er hatte nicht vor, sie einfach gehen zu lassen, aber er hatte nicht bedacht, dass sie die Natur eines Tigers besaß. Sie war wild und unbezähmbar. Daran hätte er denken und behutsamer vorgehen sollen. Sie war gefährlich, das konnte er sehen und auch spüren. Er beschloss abzuwarten, mit allem zu rechnen und seine eigenen sehr heftigen Gefühle zu unterdrücken, um für sie beide die Ruhe zu bewahren.
Natalya durchquerte das Zimmer, bis sie dicht vor ihm stand. Die Anspannung steigerte sich, bis sie förmlich mit Händen zu greifen war. »Ich glaube, du bist nicht in der Position, Nein zu sagen. Ich könnte dir jetzt sofort die Kehle durchschneiden, und du könntest kaum etwas dagegen tun. Ich habe Vampire getötet. Für mich bist du kaum etwas anderes.«
»Wenn es das ist, was du willst.«
»Du bist so ein Bastard!« Sie wandte sich von ihm ab, zorniger, als sie es je im Leben gewesen war. Tief in ihrem Inneren kämpfte das Tigerweibchen um Freiheit, um die Freiheit, Natalyas Feind endgültig auszulöschen. »Mach es
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