Schatten Der Versuchung
murmelte ihr ermutigende Worte zu und hielt sie fest.
Soren. Beinahe wäre er ihr in all den historischen Ereignissen, die um sie herumwirbelten, entgangen, aber da war er, ihr Vater, groß und gut aussehend mit seinem schwarzen Haar und den ausdrucksvollen grünen Augen. Ihr Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen, und sie streckte ihre Arme nach ihm aus. Sie konnte ihn nicht erreichen, und sie erkannte, dass sie ihn wie durch ein Spiegelbild sah. Als er den Kopf wandte, blieb ihr beinahe das Herz stehen. Er litt entsetzliche Qualen; sein Körper war auf einer Seite verbrannt, auf der anderen von Eis umschlossen. Er war gefoltert, aber am Leben erhalten worden, und sein Blut floss durch einen langen Schlauch aus seinem Körper.
Vater! Natalya schrie es laut und versuchte verzweifelt, zu ihm zu kommen, aber er schüttelte den Kopf und sah sie direkt an. Sein Blick trübte sich und sie konnte ein Messer sehen, das sich in seinen Augen spiegelte, offensichtlich eine alte, für feierliche Zeremonien bestimmte Waffe, das Heft mit Edelsteinen besetzt, die Klinge leicht gebogen. Das Messer fuhr herum und wies direkt auf sie, bevor es langsam in der Luft kreiste, sodass sie es aus jedem Blickwinkel sehen konnte. Du willst, dass ich dieses Messer finde. Einen Moment lang blieb das Bild bestehen, dann verblasste es und verschwand schließlich ganz. Sorens Blick senkte sich auf seine Hände. Natalya sah, dass er ein großes, schweres Buch hielt. Ein altes Buch mit magischen Beschwörungsformeln. Es war geschlossen, und auf dem Deckel zeichneten sich dunkle, rötlich braune Flecken ab. Das Buch ist wichtig.
Eine schattenhafte Gestalt, der Mann, den sie aus ihren Albträumen kannte, ragte vor Soren auf. Natalya wich instinktiv zurück. Ihre Bewegung schien die Aufmerksamkeit des Folterers ihres Vaters erregt zu haben, denn sie sah, wie sich der dunkle Schatten in ihre Richtung wandte. Ein leises, zorniges Zischen war zu hören, und sie spürte den eisigen Hauch des Todes, der sie bis ins Mark erschauern ließ.
Eine Flut von Bildern, die zeigten, wie ihr Vater gefoltert wurde, stürmte auf sie ein. Es folgten Szenen, in denen ihre Mutter von Vampiren verschlungen wurde und ihr Vater sie fand und vor Schmerz fast den Verstand verlor. Jedes dieser Bilder zeigte mit grauenhafter Anschaulichkeit jedes noch so kleine Detail, eines schlimmer als das andere, bis Natalya vor Kummer und Entsetzen gelähmt war. Sie fühlte, wie die düsteren Schatten immer stärker an ihr zogen, aber sie konnte sich nicht bewegen, konnte den Bann nicht brechen. Ein hässliches Lachen war zu hören. Etwas versuchte, nach ihr zu greifen und in ihr Bewusstsein einzudringen.
Natalya ! Komm sofort zu mir! Vikirnoff legte in seinen Befehl alles, was er an Macht besaß. Natalyas Körper fing an zu verblassen. Der Vorgang begann an ihren Armen, als würde eine unbekannte Macht Fleischstücke von ihren Knochen reißen und ihre Haut durch eine dünne, milchige Schale ersetzen. Sie wurde durchscheinend, ein geisterhafter Schemen statt eines Körpers aus Fleisch und Blut.
Nahezu überwältigt von Angst, verschmolz Vikirnoff mit ihrem Bewusstsein. Ainaak enyém, ich lasse dich nicht gehen. Sie werden dich nicht bekommen. Du bist ainaak sívamet jutta, für immer und alle Zeit mit meinem Herzen verbunden. Komm zu mir, Natalya. Der Gefährte deines Lebens befiehlt es.
Schuld und Furcht rangen mit ihrem Selbsterhaltungstrieb, aber selbst im Reich von Vergangenheit und Gegenwart war die Macht, die ihr Gefährte über sie hatte, stärker als alles andere. Inmitten eines Wirbelsturms, der seine ganze Wut an ihr austobte, wandte sich Natalya Vikirnoff zu. Seine tröstliche Nähe gab ihr Wärme, ebenso wie sein Charakter, die Art, wie er dachte und handelte. Seine Integrität und seine Entschlossenheit. Sie konzentrierte sich völlig auf ihn und seine unerschütterliche Treue zu ihr. Zum ersten Mal machte es sie glücklich, dass sie miteinander verbunden waren, dass Vikirnoffs Kraft mit ihrer vereint werden konnte.
Ich bringe es nicht fertig, meinen Vater zu verlassen.
Sie konnte den Weg zurück nicht finden; sie war zu erschöpft, war es leid, allein zu sein. Ihr Vater und ihre Mutter und Razvan waren alle hier an diesem Ort. Sie konnte bei ihnen bleiben, mit ihnen zusammen sein. So viele Jahre waren vergangen, in denen sie von Ort zu Ort gezogen war, ohne jemanden zum Reden zu haben, jemanden, mit dem sie ihr Leben teilen konnte. Was erwartete sie außer unendlicher
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