Schatten Des Dschungels
nebensächlich vorkommt nach dem, was wir gerade gewagt haben.
Fahr zur Hölle
Erst am nächsten Morgen begreife ich wirklich, was das mit Guyana bedeutet, und dann kommt auch die Freude. Am liebsten würde ich wild in unserer Wohnung herumhüpfen, Juliet umarmen, meine Begeisterung herausbrüllen – aber ich kann mich gerade noch beherrschen. Noch wissen meine Eltern von nichts, und ob sie mir die Reise überhaupt erlauben, ist ganz und gar nicht sicher.
Mit einem schnellen Blick in die Runde checke ich die Stimmung ab. Mein Vater streicht gerade Schoko-Nuss-Paste auf sein Brot und schielt zu seinem Pad rüber, das automatisch die Zeitung heruntergeladen hat. Eigentlich soll bei unserem gemeinsamen Frühstück weder Fernsehen geschaut noch gelesen werden, das hat er selbst mal angeregt, aber ihm fällt es am schwersten, sich daran zu halten. Ich lese ein paar Schlagzeilen mit: Erstes Farmhochhaus in München eingeweiht, auf zehn Etagen Felder, Obstgärten und Geflügelzucht; Anschlag auf Wüstenstromanlage Desertec verhindert …
Meine Mutter streut ein paar probiotische Substanzen über ihr Müsli und diskutiert geduldig mit Juliet darüber, warum sie keins dieser glitzernden Tattoos haben kann, bei denen die Partikel unter die Haut geschossen werden. »Aber ich habe das Ding ja nicht für immer, man kann doch auswählen, nach welcher Zeit es sich von selbst wieder auflösen soll«, argumentiert Juliet verzweifelt und wendet sich unserem Vater zu. »Ich will es nur für ein paar Wochen, Papa, bitte!« Sie weiß genau, wer in dieser Familie das letzte Wort hat.
Mein Vater hat sich doch noch das Lesegerät genommen, und als sich jetzt alle Augen auf ihn richten, legt er es mit schuldbewusstem Blick wieder weg. »Juliet, noch weiß keiner, was für Langzeitfolgen diese Farbstoffe haben. Willst du Glitzerpartikel, die sich in deiner Leber festsetzen?«
Wütend kneift Juliet die Lippen zusammen und wir tauschen einen Blick. Ich weiß genau, wie sie sich jetzt fühlt, beim gleichen Kampf bin ich schon vor drei Jahren gescheitert. »Glitzertattoos sind doch fast schon wieder out«, versuche ich sie zu trösten.
»Weißt du was, ich spendiere dir stattdessen einen dieser Emoti-Schals, okay?«, meint meine Mutter, die selbst bunte Tücher liebt. Juliets Miene hellt sich wieder etwas auf. Solche Schals messen deine Körperfunktionen und verändern ihre Farbe je nach deiner Stimmung, es sieht toll aus. Aber für mich wäre das nichts, ich will kein Kleidungsstück haben, das herausposaunt, wie es mir gerade geht.
Jetzt ist der geeignete Moment, Guyana zur Sprache zu bringen, denn wenn Juliet irgendetwas bekommt, sollte ich nach den Familienregeln ebenfalls etwas kriegen. Also sage ich: »Übrigens, Living Earth und das Institut für Tropenökologie planen eine Exkursion nach Guyana. Ich könnte mit und würde das total gerne machen.« Das Institut habe ich deswegen eingebaut, weil es so schön seriös klingt; das hat schon funktioniert, als ich wollte, dass sie mir die Arbeit im Labor erlauben.
Meine Mutter sieht verblüfft aus, mein Vater skeptisch und Juliet begeistert. »Cool!«, sagt sie spontan. »Fährt Falk auch mit?«
Ich liebe meine Schwester, aber manchmal sagt sie wirklich kriminell dämliche Sachen. Ausgerechnet jetzt muss sie Falk erwähnen, wegen dem ich noch vor kurzer Zeit eine Woche Hausarrest bekommen habe! Meine Eltern tauschen einen Blick, der nichts Gutes verheißt.
»Guyana liegt übrigens zwischen Brasilien und Venezuela«, versuche ich das Thema zu wechseln. »Dort wird Englisch gesprochen. Es hat nichts mit Französisch-Guyana zu tun, wo sie die Ariane-Raketen starten, das ist ein ganz anderes Land südöstlich von …«
»Wie kommen sie darauf, ausgerechnet dich mitzunehmen?«, wundert sich meine Mutter und lässt ihr Müsli unbeachtet aufweichen. »Du bist schließlich erst sechzehn.«
»Die Fahrt findet nächstes Jahr statt, dann bin ich siebzehn«, sage ich schnell. Jetzt kommt der kritische Teil und ich versuche ihn so beiläufig wie möglich zu bringen. »Es wären drei Wochen, zwei davon in den Osterferien. Ihr bräuchtet mich nur eine Woche zusätzlich von der Schule befreien zu lassen …«
Juliet hat ganz große Augen bekommen, und ich weiß genau, was sie denkt. Von der Schule befreien lassen? »Wie praktisch, dass der größte Teil in den Ferien ist«, springt sie mir tapfer bei, vielleicht um ihren Fehler von vorhin wieder wettzumachen.
Meine Mutter schüttelt
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