Schatten Des Dschungels
darüber nach.«
Was war das jetzt – eine nichtssagende Phrase, so wie das »Besuch mich doch mal« von flüchtigen Bekanntschaften? Oder ein echtes Versprechen? Immerhin, etwas Hoffnung ist besser als keine Hoffnung.
An diesem Abend, als Juliet und ich vor unserer 3-D-Fernsehwand hängen, fragt mich meine Schwester leise: »Sag mal, ich wollte das nicht fragen heute früh – aber ist es nicht ganz schön gefährlich im Dschungel?«
»Na ja, Kopfjäger gibt’s in Südamerika keine«, meine ich achselzuckend und zappe mich durch die Kanäle. »Und die gefährlichen wilden Tiere … die überhaupt zu sehen wäre wie ein Gewinn im Lotto. Jaguare zum Beispiel sind total scheu.«
»Schlangen?«
Beim Gedanken an Schlangen wird mir zum ersten Mal etwas mulmig zumute. »Ich würde versuchen, auf keine draufzutreten. Aus anderen Gründen beißen sie normalerweise nicht.«
Jus Stimme wird noch einen Tick leiser, denn meine Mutter sitzt nur einen Raum weiter an ihrem Schreibtisch. »Was ist denn jetzt mit Falk, würde er mitfahren?«
»Falk ist dabei«, sage ich und in meinem Mund ist auf einmal ein schaler Geschmack. Wenn ich nicht mitkann, muss ich drei Wochen ohne ihn auskommen, was für ein Albtraum. Am liebsten würde ich mich sofort in meinem Zimmer einschließen und mit Falk telefonieren, aber er ist heute bei einer Living-Earth-Veranstaltung in Frankfurt.
»Er kommt mit? Das ist superplus«, quietscht Ju und umarmt mich kurz. »Dann wärt ihr ja zusammen im Dschungel. Ich gönn’s dir.«
Ich habe keine Ahnung, woher sie diese Zuversicht nimmt. »Wenn es überhaupt klappt.«
»Du gönnst ihr was ?«, ruft meine Mutter aus dem Nebenzimmer und ich brülle gereizt zurück: »Leben wir hier im Überwachungsstaat?« Keine Frage, pünktlich an meinem achtzehnten Geburtstag ziehe ich aus!
Es ist schon wieder vorbei mit der Harmonie zwischen mir und meiner Schwester, wir streiten uns wie üblich, ob wir etwas zusammen auf dem großen Schirm schauen – ich würde mir eigentlich gerne einen Thriller mit Zahara Jolie-Pitt runterladen, aber Juliet findet das öde und will lieber eine DangerZone-Quiz-Show.
Ich schüttele den Kopf. »Wieso tust du dir diesen Scheiß an?« In so einer Show kann man Millionen gewinnen, aber wenn man verliert, hat man ein Problem – einer der Verlierer musste mal ein Jahr lang hauptberuflich verschimmelte Lebensmittelproben analysieren, und die anderen Strafen sind nicht viel besser. In den USA und in Asien kommt es sogar vor, dass die Teilnehmer anschließend ein paar Finger, Zehen oder Zähne weniger haben.
»No risk, no fun«, sagt Juliet und piekt mich mit dem Zeigefinger in die Seite. »Ist doch harmlos im Vergleich zu diesen Dokus, die Mama ab und zu schaut.« Darin begleiten Filmemacher jeweils einen Menschen, der starke Selbstmordgedanken hat, bis zum bitteren Ende. Gelegentlich werden die Leute auch von einfühlsamen Psychologen gerettet oder sie überlegen es sich noch mal anders – man weiß vorher nie, wie es ausgehen wird. Ich gehe raus, wenn Mama das einschaltet, ich halte es einfach nicht aus, zuzusehen.
Weil Juliet und ich uns nicht auf eine Sendung einigen können, teilen wir den großen Schirm auf, jeder bekommt ein Quadrat und muss sich halt einen Kopfhörer aufsetzen.
No risk, no fun. Juliets Spruch geht mir immer noch durch den Kopf. Nein, das ist nicht der Grund, warum mir der Trip nach Südamerika so wichtig ist, schließlich wäre ich nicht nur dort, um Spaß zu haben. Ich will keiner der Menschen sein, die tatenlos zusehen, wie etwas Kostbares zerstört wird. Es ist mir nicht egal, was mit dem Regenwald geschieht, auch wenn er auf der anderen Seite der Welt wächst und ich ihn noch nie gesehen habe.
Und dann verändern wir zusammen die Welt , Cat .
Yeah, denke ich. Das machen wir.
Und weil die schöne Zahara auf dem Bildschirm gerade eine große Knarre zückt und sich daranmacht, die Welt von einem Fiesling zu erlösen, denke ich danach an gar nichts mehr und schaue einfach nur zu.
Nach dem Film checke ich meine Mails, chatte noch eine Runde mit Eloísa – wir diskutieren ihren Traum, BWL zu studieren und eine eigene Reederei aufzubauen – und spreche Falk etwas auf die Mailbox. Gerade will ich ins Bad, um mir die Zähne zu putzen, da höre ich ein leises Klopfen an meiner Zimmertür. »Ja?«, frage ich erstaunt und meine Mutter schlüpft herein und schließt sorgfältig die Tür hinter sich. Sie ist barfuß und trägt ihren alten grünen Bademantel.
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