Schatten Des Dschungels
in mir, wollen raus, vergiften meinen ganzen Kopf. Aber ich habe keine Ahnung, wo ich Falk suchen soll. Sein Telefon klingelt endlos, ohne dass er rangeht, und wer weiß, ob und wann er in seine Mails schaut. Ich radele zu seinem Zelt an der Isar, doch dort ist er nicht. Ich klingele Sturm bei Pancake, aber der sagt, dass er ihn selbst noch nicht gesehen hat. Immerhin, er hat einen Tipp für mich. »Wahrscheinlich ist er morgen früh an der Uni, er hat dann, glaub ich, ’ne Vorlesung, just try it there«, sagt er. »Es war irgendwas mit Wasser.«
Im Internet sehe ich, dass es morgen Vormittag nur zwei vom Thema her passende Vorlesungen gibt, die nicht online stattfinden, sondern richtig im Hörsaal. Ich setze auf die Gewässerökologie, zehn bis zwölf Uhr. An diesem Tag hätte ich eigentlich bis vierzehn Uhr Schule, aber das ist mir vollkommen egal, ich täusche Bauchschmerzen vor und stehe um zwölf vor dem Hörsaal, zu dem ich mich durchgefragt habe. Drinnen höre ich Stimmen, dann gehen die Türen auf, und ein Strom von Leuten quillt heraus, meine Augen suchen rastlos nach dem einen Gesicht, das ich kenne, das mir etwas bedeutet.
Es scheint unendlich lange zu dauern, bis er rauskommt. Aber dann sehe ich ihn – er trägt ein beiges Hemd und darüber eine Weste, Jeans und seinen abgewetzten Rucksack, in dem wahrscheinlich wie immer alles Wichtige ist, das er besitzt.
Ich habe Falk gefunden. Von einem Moment auf den anderen fühle ich mich besser, der Tumult in mir lässt nach.
Noch hat er mich nicht gesehen. Ich stoße mich von der Wand ab, an der ich gelehnt habe, und gehe ihm entgegen. Erst auf den zweiten Blick bemerke ich, dass Falk nicht allein ist, neben ihm gehen zwei andere Studenten, alle drei sind in ein Gespräch vertieft. Mist. Eigentlich habe ich gehofft, irgendwie auch erwartet, er würde allein sein.
Jetzt hat Falk mich bemerkt. Verblüfft, aber erfreut lächelt er mir zu und schwenkt mit seinen beiden Begleitern aus der Menge der anderen Leute in meine Richtung.
»Cat«, sagt er, und es klingt liebevoll, aber er berührt mich nicht dabei und auch ich bleibe auf Distanz. Wenn er mich hier nicht umarmen will, soll er es bleiben lassen, aber dann braucht er auch nicht zu erwarten, dass ich ihm wieder in die Arme falle, wenn wir allein sind!
Seine zwei Begleiter warten auf ihn, unterhalten sich miteinander und ignorieren mich. Falk und ich sehen uns an, und ich weiß, dass ich jetzt ehrlich ihm gegenüber sein muss. Das ist es schließlich, was er mich gelehrt hat: Es hat keinen Zweck, so zu tun, als sei alles in Ordnung, wenn es das nicht ist.
»Was war los im Labor gestern?«, frage ich. »Es war schlimm für mich, dass du so schnell wieder gegangen bist.«
»Cat, ich habe jetzt keine Zeit«, sagt er leise. »Kann ich dich anrufen?«
Meine Wut kocht über. Vieles ist ihm wichtig, so vieles, nur für mich hat er keine Zeit. Anscheinend bin ich auf der Liste seiner Prioritäten ziemlich weit unten. Nicht mal entschuldigt hat er sich, hat er überhaupt gehört, was ich gesagt habe? Vermutlich hat er jetzt vor allem Angst, dass ich eine peinliche Szene machen könnte!
»Nein, du kannst mich nicht anrufen«, presse ich hervor, drehe mich um und will gehen. Aber er reagiert gedankenschnell, legt von hinten den Arm um meine Taille, zieht mich zurück. Ich will herumwirbeln, ihn anbrüllen, doch da spüre ich schon seine Lippen an meinem Ohr. »Es gibt etwas, was ich dir sagen muss. Es ist wichtig. Morgen um fünf Uhr nachmittags an deiner Waldschule.«
Dann lässt er mich los, gibt mich so behutsam frei, als sei ich ein wildes Tier, das er in sein Revier zurückgebracht hat.
Vertrauen
Durch die dreckigen Scheiben der Straßenbahn sehe ich den Wald vorbeiziehen, den Autos auf der anderen Seite drehe ich den Rücken zu. Wie ein Kind hauche ich gegen das Glas, zeichne das Profil seines Gesichts in meinen weißen Atem und schaue zu, wie das Bild wieder verschwindet. Dann kündigt eine Frauenstimme vom Band an: »Nächste Haltestelle Schilcherweg«. Ich stehe auf und halte mich an einer der Metallstangen fest, damit ich nicht schwanke, damit ich nicht falle.
Dann stehe ich draußen, die Straßenbahn surrt davon, ich bin allein. Keiner außer mir ist hier ausgestiegen, auf den ersten Blick ist um mich herum Niemandsland, kein Haus ist zu sehen, kein Auto steht auf dem kleinen Parkplatz am Waldrand. Aber mir ist hier jeder Fußbreit vertraut und es fühlt sich an wie Heimkommen. Jahrelang bin ich
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