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Schatten Des Dschungels

Schatten Des Dschungels

Titel: Schatten Des Dschungels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Brandis , Hans-Peter Ziemek
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geschieht.
    An diesem Abend ist die Stimmung im Camp zwar noch nicht verzweifelt, aber sehr bedrückt. Alle gehen früh ins Bett, außer Falk, der die erste Nachtwache bei Lindy übernommen hat. Die Sorgen machen mich fast verrückt. Warum musste es ausgerechnet Lindy treffen? Sie hat schon ihre ganze Familie im Drogenkrieg verloren und jetzt … jetzt ist sie selbst Opfer in einer Art Krieg. Seither lebe ich jeden Tag, als sei es der letzte. Und vielleicht sind das jetzt wirklich ihre letzten Tage. Bei diesem Gedanken kommen mir fast die Tränen.
    Ich muss irgendetwas tun, sonst halte ich das alles nicht aus. Schließlich lege ich mich voll angezogen in die Hängematte und lenke mich von meinen düsteren Grübeleien ab, indem ich mir den SAM vornehme, das Ding, das mir mein Vater zum siebzehnten Geburtstag geschenkt hat. Eins dieser überflüssigen elektronischen Spielzeuge, die meiner Meinung nach völlig überteuert sind. Das Ding sieht aus wie ein geschliffener blauer Kristall – wegen so einem Teil wird einem wahrscheinlich in Caracas oder Bogotá die Kehle durchgeschnitten.
    Wenigstens einschalten muss ich es mal, sonst ist mein Vater tödlich beleidigt. Im Inneren erscheint eine dreidimensionale Gestalt, das ist der Avatar, den ich in verschiedene Games schicken kann, wenn ich möchte. Der voreingestellte Avatar ist ein unerträglich fröhlich aussehendes blondes Mädchen, ich konfiguriere ihn gleich neu und mache einen übellaunigen Troll daraus. Das entspricht meiner Stimmung gerade mehr.
    Eloísa hat vorgeschlagen, auf dem SAM eine Art Blog-Tagebuch aufzusprechen, für sie natürlich total logisch, sie schreibt geradezu manisch und füllt jeden Tag mehrere Seiten. Aber das mit dem Blog hätte ich von Anfang an machen müssen, jetzt ist es eigentlich ein bisschen spät. Stattdessen scanne ich nur die Funktionen durch, schaue mir an, was das Ding kann. Immerhin, es ist nicht auf Internetkontakt angewiesen, darauf hat mein Vater netterweise geachtet. Es enthält neben der Blog-Funktion auch halbwegs praktische Dinge wie einen virtuellen Kompass, eine Datenbank aller Pflanzen Südamerikas – danke, Papa –, sämtliches Kartenmaterial der ganzen Welt, eine Scan- und Kamerafunktion, ein paar Spiele, Konzentrationsübungen und ungelogen eine Selbsthypnose-Funktion. Fast hätte ich laut aufgelacht. Wozu in aller Welt soll die gut sein?
    »Was ist, möchtest du dich jetzt hypnotisieren lassen oder nicht?«, schnauzt mich der Troll-Avatar an, als ich zu lange auf dem Icon verweile. Aha, anscheinend stellt man mit dem Äußeren auch gleich den dazu passenden Ton ein.
    Ich erwidere, dass er mich mal kann, worauf das Gerät sich ausschaltet. Echt gute Sprachsteuerung.
    Inzwischen ist es so etwa zehn Uhr abends, es ist längst dunkel und die Dschungeltiere lärmen. Ich nehme den Krach kaum noch wahr, wahrscheinlich hat mein Gehirn in den letzten Tagen gelernt, ihn auszublenden. Stattdessen schweifen meine Gedanken nach Deutschland, zu meinen Eltern, die sich trotz ihrer Bedenken bei der Academy für meinen Dschungeltrip eingesetzt haben, und zu Juliet, die hoffentlich weniger Mist macht als ich gerade. Ich habe sie alle schon seit Tagen nicht mehr gesprochen, wir haben nur über den Satelliten-Uplink ein paar Mails ausgetauscht – natürlich alle unverfänglich, von Last Hope dürfen sie nichts ahnen.
    Zum ersten Mal, seit ich in Guyana angekommen bin, zupft etwas an meinem Herzen, wenn ich an sie alle denke. Auch Eloísa vermisse ich so stark, dass meine Augen feucht werden. O Mann, ich habe tatsächlich Heimweh …
    Irgendwie muss ich doch eingeschlafen sein. Als ich in der Dunkelheit aufwache, höre ich, wie Lindy leise spanische Worte stammelt. Meine Uhr zeigt kurz nach Mitternacht. Ich gleite unter dem Moskitonetz hervor, schlüpfe in meine – vorher ausgeschüttelten – Schuhe und gehe zu Lindy hinüber. Im sanften Schein einer grünen Leuchtdiode sehe ich, dass Falk noch immer neben ihr sitzt. Er hat feuchte Tücher über ihre Arme und ihren Hals gebreitet.
    »Ihr geht’s nicht besser, oder?«, frage ich betroffen, aber ich sehe schon selbst, dass es eher schlimmer geworden ist. Jeder Atemzug scheint Lindy Kraft zu kosten.
    »Das Fieber ist hoch auf 39,5«, flüstert Falk grimmig, seine Stimme klingt ein wenig dumpf durch den Mundschutz. »Pancake sagt, wir müssen sie irgendwie kühlen, damit sie nicht überhitzt. Aber er ist kein Arzt, sondern Biochemiker – ich habe keine Ahnung, ob er Blödsinn redet

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