Schatten Des Dschungels
hindurchblicken kann, gehe ich in Deckung unter einem umgestürzten Baum. Die breiten grünen Blätter eines Farns kitzeln mich und Wasser tropft auf meine Schulter. Irgendwann höre ich das Geräusch nicht mehr, aber es hat sich nicht entfernt, es ist einfach verstummt. Kann es sein, dass der Heli irgendwo gelandet ist? Nein, das ist hier im Regenwald verdammt schwer. Alles zugewuchert, es gibt nur wenige freie Flächen zum Aufsetzen. Es könnte höchstens sein, dass ein Tafelberg in der Nähe ist. Diese kleinen Berge in der Umgebung sind oben flach und zum Teil nicht völlig bewachsen, dort könnte der Hubschrauber gelandet sein.
Doppelt so vorsichtig wie zuvor gehe ich weiter und schalte den SAM wieder ein. Doch der virtuelle Kompass spinnt gerade herum. »Sie verlassen jetzt das kartierte Gebiet«, informiert mich das Gerät höflich, ausnahmsweise ist es nicht der Troll-Avatar, der spricht.
»O Mann!« Ich bin kurz davor, den blauen Kristall ins Gebüsch zu pfeffern. Hätte ich doch nur einen ganz stinknormalen richtigen Kompass mitgenommen. Was jetzt? Nach dem Sonnenstand kann ich mich nicht richten, die Sonne dringt nicht durchs Kronendach durch. Innerhalb von ein paar Stunden werde ich mich hoffnungslos verirrt haben, man kann hier im Wald nicht in einer schnurgeraden Linie gehen. Ich muss dringend Ausschau halten, mehr über die Gegend herausfinden. Und der Weg dorthin führt … ganz nach oben.
In der Waldschule habe ich gelernt, wie man auf einen Baum hochkommt, der auf den ersten Blick nur aus einem glatten Stamm besteht. Aber zwei lange Seilstücke brauche ich, sonst funktioniert der Trick nicht. Ich opfere ein paar Stränge meiner Hängematte und knote an beide Seilstücke Schlaufen für meine Füße. Dann suche ich mir einen Baum aus, der gerade mal so dick ist wie eine der guten alten Fichten daheim, einen jungen Ehrgeizling sozusagen, der erst seit ein paar Jahren in der Oberliga mitspielen darf. Er hat noch nicht ganz so viele Schling- und Aufsitzerpflanzen gesammelt wie seine riesigen Nachbarn. Neben ihm liegt umgestürzt der Stamm seines Vorgängers.
Ich verstecke meinen Rucksack und die Hängematte unter einem Busch, vergrabe die Machete unter einer Schicht abgefallener Blätter … und zögere. Eigentlich würde ich das Pad lieber bei mir behalten, es ist zu wichtig, was darauf gespeichert ist. Vorsichtig klemme ich es mir in den Hosenbund. Dort unten am Boden wird es womöglich feucht, selbst im Rucksack, der blöderweise nicht ganz wasserdicht ist.
Der SAM darf in meiner Hosentasche mitkommen, allerdings schalte ich das Ding vorher stumm, ich habe keine Lust auf blöde Bemerkungen, während ich zwischen Himmel und Erde hänge.
Dann geht es los, ich befestige die losen Enden der beiden Seile in Form einer Schlinge um den Baumstamm. Wenn ich mich jetzt in meine vorher angefertigten Fußschlaufen stelle, zieht sich das Seil oben zusammen, ich hänge am Stamm. Um höher zu kommen, muss ich das eine Bein anwinkeln, sodass kein Gewicht mehr auf dem Seil lastet, dann die Schlinge um den Stamm lockern und die ganze Konstruktion nach oben verschieben. Dann das gleiche Spiel mit dem zweiten Bein. Immer abwechselnd, mit jedem Schritt komme ich ein klein wenig höher. Jonas mit seiner Hightech-Bergsteigerausrüstung würde sich totlachen.
Schon nach zwei Metern merke ich, dass das Pad in meinem Hosenbund stört. Außerdem wird es an meinem Körper erst recht feucht, wenn ich durch die Anstrengung schwitze. Also kehre ich um und finde einen trockenen Platz für das Pad in einer Höhlung des umgestürzten Baumes. Man braucht viel Geduld für die Klettermethode mit den Schlingen, unendlich langsam geht es aufwärts. Doch schließlich bin ich im Bereich der Äste. Irre – so hoch war ich noch nie! Wenn ich jetzt stürze, bin ich tot und Falk hat ein Problem weniger. Besser, ich schaue nicht mehr nach unten. Ich löse mich aus den Beinschlingen und klettere in den Ästen weiter.
Und dann bin ich oben. Blendend helles Sonnenlicht überflutet mich, wärmt meine verkrusteten Haare. Hier oben ist die Luft trocken und der Passatwind fächelt mein Gesicht. Es duftet betäubend, denn ein gelbes Blütenmeer umgibt mich. Vom Boden aus habe ich nicht mal geahnt, dass »mein« Baum gerade blüht. Und er ist nur einer von mehreren Farbtupfern im grünen Meer, das sich nach allen Seiten erstreckt. Ein anderer Urwaldbaum hat sogar rote, saftig aussehende Früchte, aber sie sind zu weit entfernt, ich komme nicht an
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