Schatten Des Dschungels
unheimlich, er streift mich ab und zu mit einem düsteren Blick.
»X-Man?« Ich zwinge mich zu einem Lächeln. »Hast du irgendwelche besonderen Eigenschaften?«
»Klar, Röntgenblick und Superkraft«, grinst X-Man und Antonio grölt vor Lachen. »In Wirklichkeit kann er einfach nur mehr Bier trinken als andere!«
»Man braucht genügend Bier, damit das mit dem Röntgenblick funktioniert«, argumentiert X-Man und spannt seinen beeindruckenden Bizeps an. »Du bist ja nur neidisch, compadre .«
Antonio lacht, gießt sich etwas aus einer braunen Flasche in den Hals und legt mir den Arm um die Schultern. Ich zucke zusammen und kippe vor Schreck fast mein Essen auf den Waldboden. »Lass das!«, fauche ich Antonio an.
»Nichts passiert, eh?« Antonio grinst immer noch, aber besonders nett sieht es nicht mehr aus. »Wir wollen doch nur ein bisschen Spaß haben. Ist doch nichts Schlimmes dabei, wenn man Spaß hat, oder?«
Mein Herz rast. Auch Edo hat gerade seinen Spaß, allerdings auf etwas andere Art. Nachdem er mich noch einmal düster angestarrt hat, ignoriert er mich jetzt. Er hat ein grünes Pulver aus einer Plastiktüte genommen, legt es auf seinen Handrücken und schnieft es ein. Ich weiß, was das für Zeug ist, Pancake hat im Camp mal davon erzählt. Billiger Dreck namens Green Giant. Macht richtig gute Laune, und ein paar Stunden lang interessiert es einen überhaupt nicht, welche Regeln man bricht, alles ist egal, es gibt keine Grenzen mehr.
Scheiße! Ich muss hier weg. So schnell wie möglich. Beim Gedanken daran, was diese Typen mit mir anstellen könnten, wird mir übel und meine Hände fangen an zu zittern. Wieso war ich eigentlich so unglaublich dumm, meine Machete wieder einmal auf den Boden zu legen? Manchmal habe ich wirklich ein Spatzenhirn. Nutzlos liegt die Klinge etwa zwanzig Schritte von mir entfernt. Das ist viel, viel zu weit.
Da fällt mir etwas ein, ein anderes Lager. Falk, der neben mir sitzt. Pancake, der seine Plastikverpackung ins Feuer wirft, Lindy, die eine Warnung schreit.
Und neben mir liegt eine mittelgroße Plastiktüte, eben war noch ein Rest Green Giant darin, doch jetzt ist sie leer. Das ist garantiert kein Biokunststoff, sondern altmodischer aus Erdöl. Beiläufig nehme ich die Tüte und werfe sie in die Flammen. Und dann warte ich, jeder Muskel meines Körpers ist angespannt. Falls etwas passiert, bin ich bereit.
Edo schaut noch finsterer, denn jetzt stinkt es gewaltig, als die Flammen das Plastik schmelzen. Schwarzer Rauch steigt auf. Doch keiner der drei Männer rührt sich, keiner scheint Verdacht zu schöpfen. Vielleicht wissen sie mehr als ich, vielleicht gibt es diese Raupen mit den Brennhaaren hier nicht.
Doch dann macht es Plopp, eine haarige Raupe landet auf dem Boden. Dann noch eine und noch eine. Bevor die Goldsucher kapiert haben, was los ist, bin ich schon losgesprintet. Noch beim Rennen schnappe ich mir meine Machete. Flüche erschallen, aber ich schaue mich nicht um und renne, so schnell ich kann, in den Wald hinein. Weg vom Fluss, hinein ins Dickicht. Inzwischen habe ich Übung darin, ich klettere über einen großen abgefallenen Ast und robbe unter einem Dornengestrüpp durch. Nach zehn Minuten höre ich keine Stimmen mehr und ich brauche dringend eine Pause. Schon bin ich mit meinen Kräften wieder am Ende. Keuchend lasse ich mich auf dem Boden nieder, meine Wange brennt dort, wo ein zurückpeitschender Zweig sie getroffen hat.
Wenn ich jetzt versuche weiterzuwandern, dann komme ich wahrscheinlich nirgendwo an. Dieser Wald ist so viel stärker als ich. Ich habe noch nicht genug gelernt, um hier zu überleben. Aber was jetzt? Zurück zu den Goldgräbern will ich auf keinen Fall, dieser Preis ist mir zu hoch! Außerdem, wer sagt mir denn, dass die Typen mir nicht die Kehle durchschneiden und mich irgendwo verscharren, nachdem sie ihren Spaß mit mir gehabt haben?
Ich fühle mich furchtbar hilflos, wieder einmal. Tränen steigen mir in die Augen und ich wische sie wütend mit dem Ärmel meiner Jacke ab. Wenn ich noch mehr Salzwasser vergieße, dann reicht das bald für ein kleines Binnenmeer. Dann hole ich Sam aus der Tasche und stelle ihn auf Sprachausgabe, damit ich ihn um Rat fragen kann. Doch sofort motzt er los: »Ganz schön gemein, mich so durchzuschütteln, Menschen kennen wirklich keinerlei Rücksicht, wenn es um Elektronik geht!«
Einen Moment lang kann ich nicht sprechen, ich bin noch ganz durcheinander von dem, was ich eben erlebt habe.
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