Schatten Des Dschungels
windendes madenähnliches Etwas, das sich aus mir heraus- und in den Speck gebohrt hat. Jetzt wird mir doch noch übel. Hochzufrieden behandelt Luís auch mein zweites Geschwür auf diese Art.
»Gracias – thank you!«, sage ich erleichtert, und dann fällt mein Blick auf ein Handy, das auf einem Baumstumpf neben dem Feuer liegt. Mein Gott! Ein Handy! Jetzt könnte ich meine Eltern anrufen. Die Polizei. Oder sogar die Familie meiner Freundin Eloísa in Caracas! »Darf ich mal anrufen?«
Luís seufzt. »Kein Strom. Die Solarzellen sind kaputt.«
Kein Problem, ich stöpsele das Ding einfach an meine Jacke an, die aus meiner Körperwärme inzwischen reichlich Energie gemacht hat. Tatsächlich, das Handy beginnt sich aufzuladen. Mit zitternden Fingern tippe ich die Nummer, ganz langsam, um bloß keine falsche Zahl zu erwischen. Doch bevor ich fertig bin, reißt Antonio mir schimpfend das Gerät aus der Hand und schießt eine Salve schnelles Spanisch auf seinen Vater ab. Ich verstehe nichts davon, kann mir aber denken, was er sagt. Wahrscheinlich hat er Angst, dass ich die Gruppe an die Behörden verrate.
Luís schimpft zurück, aber das kann er sich jetzt eigentlich sparen, das Ladekabel meiner Jacke ist sowieso gerade abgerissen, danke sehr, Antonio, das war’s erst mal mit dem Strom und dem Telefonieren.
Ich muss die Zähne zusammenbeißen, um nicht zu heulen oder jemanden anzuschreien. Jetzt nicht aufgeben. Ich atme ein paarmal tief durch und starte den nächsten Versuch: der Hubschrauber. Irgendwie muss ich sie überreden. Geduldig erkläre ich, dass ich unbedingt nach Venezuela muss. »Könntet ihr mich hinfliegen?«
Der freundliche Luís sieht kummervoll aus. »Wie ich schon sagte, Sprit ist teuer und ihn zu besorgen nicht ganz leicht. Hast du Geld?«
Zum Glück habe ich welches. Mein Vater hat mir noch am Flughafen hundert Dollar in die Innentasche meiner Jacke gestopft. »Gib sie nicht aus, heb dir die für den Notfall auf«, hat er gesagt. Jetzt hole ich sie hervor, fünf zerknitterte grüngraue Zwanzig-Dollar-Scheine. Luís nimmt sie mit einem Kopfnicken, feuchtet seinen Finger an und zählt das Geld bedächtig. Dann runzelt er die Stirn.
»Das reicht nicht. Hast du noch mehr?«
»Wenn ich in Caracas bin, kann ich mir von meinen Eltern welches schicken lassen«, biete ich verzweifelt an. »Sie werden euch reich belohnen, wenn ihr mich sicher nach Venezuela bringt.«
»Wir können dich sowieso nicht nach Caracas bringen, das ist viel zu weit – bis zur nächsten Siedlung ist alles, was geht«, knurrt Antonio. »Also, was hast du uns noch zu bieten?« Auf einmal ist sein Blick wieder gierig. Ich kann mir schon vorstellen, was für eine Tauschware er im Sinn hat.
Nichts habe ich zu bieten außer einem kaputten Pad, einer gebrauchten Machete … und Sam. Ganz langsam ziehe ich den blauen Kristall aus der Hosentasche.
»Sag mal, spinnst du? Du willst mich verhökern?«, quiekt der Troll erschrocken.
Erwarte das Unerwartete
Mein Herz wird bleischwer, denn eigentlich will ich Sam nicht hergeben. Er war mein einziger Begleiter und Vertrauter im Regenwald, ohne ihn hätte ich nicht überlebt. Nur zu gut kann ich mich daran erinnern, wie er mir Märchen erzählt hat, als es mir schlecht ging, und wie er mich bei Bedarf mit gezielten seelischen Fußtritten wieder auf die Beine gebracht hat. Aber im Grunde ist er doch nur ein Gerät, er hat das getan, wofür er programmiert war, nicht mehr und nicht weniger. Ein Bewusstsein hat er ebenso wenig wie Gefühle, beides simuliert er nur – wenn auch sehr erfolgreich.
»Geht leider nicht anders, Kleiner«, murmele ich und zeige ihn auf meiner flachen Handfläche den Goldsuchern. Sehr interessiert betrachten Antonio, X-Man und Luís den Kristall, der einem Juwel so ähnlich sieht.
»Ist nicht echt, oder?«, fragt Luís, seine Stimme hat sich verändert, rau und heiser klingt sie jetzt. Vorsichtig streckt er den Zeigefinger aus, um Sam zu berühren.
Antonio lacht. »Natürlich nicht, das ist nur ein Gerät, oder? Der ist doch viel zu groß, so große Saphire gibt es nicht.« Doch trotz seiner spöttischen Worte sieht er fasziniert aus. Auch X-Man hat große Kinderaugen bekommen. Nur Edo wirkt gleichgültig, wahrscheinlich ist er komplett zugedröhnt.
»Wie viel ist so ein Ding denn wert?«, fragt Luís, er ist offensichtlich etwas enttäuscht, dass das auf meiner Handfläche nur Elektronik ist.
»Genug jedenfalls«, sagt Antonio, und bevor ich reagieren kann,
Weitere Kostenlose Bücher