Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)
wilden Phase nicht gekannt.«
»Warum hast du das vorhin nicht gesagt?«
»Es geht die anderen nichts an. Du weißt doch, wie das ist. Da wird geschwätzt, und die Gerüchte drehen ihre Runden, bis Ossi der Killer von der Thingstätte ist. Er war es natürlich nicht. Wenn jemand das wüsste, dann wäre ich es.« Es klang so, als wollte sie sagen: Ich habe nicht mit einem Mörder zusammengelebt.
Stachelmann kam ein Gedanke. Wenn Ossi es doch gewesen sein sollte, würde man vielleicht begreifen, warum er Polizist wurde, was sich damals niemand hätte vorstellen können. Das schlechte Gewissen mag ihn getrieben haben, Mörder zu fangen.
»Weißt du, warum Ossi Polizist wurde?«
Regine schaute ihn streng an. Ihr schien es nicht recht zu sein, dass er telefonierte.
Katharina atmete durch. »Daran habe ich auch schon gedacht. Ich weiß es nicht. Wenn er mit der Thingstättensache was zu tun gehabt hätte, wüsste ich es. Er hätte es nicht für sich behalten können. Und dir hätte er es später auch erzählt. Es hätte ihn umgetrieben, ihn hat schon Geringeres um den Schlaf gebracht. Nein, er war damals empört über den Mord. Glaubte, Nazis seien es gewesen. Eine Zeit lang hat er immer wieder davon angefangen.«
»Ich würde das nicht gern am Telefon weiter bereden. Hast du eine halbe Stunde Zeit?«
Regine blitzte böse.
»Ja«, sagte Katharina.
»Ich verstehe«, sagte Regine, drehte sich um, stampfte einmal auf wie ein beleidigtes kleines Mädchen und ging.
»Bleib doch, komm mit!«, rief Stachelmann.
Aber Regine lief weiter, sie wankte leicht und schien mit sich selbst zu sprechen.
»Was ist?«, fragte Katharina.
»Nichts. Wo treffen wir uns? Ich bin gleich wieder im Palme.«
Er brauchte keine fünf Minuten. Sie wartete vor dem Eingang des Restaurants, gegen das Licht einer Laterne sah Stachelmann Regentropfen. Dann fühlte er sie warm auf der Haut. Tropfen glitzerten auch auf ihrem Gesicht. Sie sagte nichts und betrat das Restaurant. Er folgte.
Sie setzten sich an einen freien Tisch am Eingang.
»Gut, dass du angerufen hast«, sagte Stachelmann.
»Ich wollte im Beisein der anderen nicht reden«, sagte sie. »Aber ich finde, du hast das Recht zu erfahren, was ich weiß. Auch wenn es wenig ist. Mir wäre es am liebsten, diese alte Geschichte würde endlich beerdigt, aber gut, dann eben nicht.«
Sie bestellten beim Kellner Rotwein, obwohl Stachelmann fürchtete, an diesem Abend genug getrunken zu haben.
»Weißt du noch, wie wir früher hier gesessen haben?«, fragte sie. »Bis in den frühen Morgen, nach Studentenparlamentssitzungen oder Vollversammlungen?«
Es war alles so lange her und rückte ihm doch immer näher. Er sah die Gesichter vor sich, erregt noch von den Debatten um Fragen, die einem heute nur lächerlich erscheinen konnten. Aber damals hatten sie sich angeschrien, manche ließen sich hinreißen, Schläge anzudrohen oder furchtbare Vergeltung am Tag der Machtübernahme.
»War eine schöne Zeit«, sagte sie. »Meistens jedenfalls.«
Jetzt erst entdeckte er ihre Melancholie. Sie lag wie ein Unterton in ihrer Stimme. Fast hätte er sie danach gefragt, aber dann überzeugte er sich, dass es ihn nichts anging.
»Zeig mal das Bild«, sagte sie.
Der Kellner brachte zwei Gläser und eine Karaffe, er schenkte ein.
Stachelmann legte das Bild auf den Tisch. Sie deutete auf den Mann, der neben Lehmann am Brunnen stand und dem Betrachter den Rücken zukehrte. »Das ist er.«
»Hat er dir erzählt, dass er Lehmann kannte?«
»Jein«, sagte Katharina. »Als Lehmann ermordet worden war und sein Bild in der Zeitung abgedruckt wurde, hat er darauf gezeigt und sinngemäß gesagt: Den kenn ich. Bei der Demo zuletzt habe ich mit dem geredet. Der war ganz richtig im Kopf. Aber seinen Namen habe ich nicht gewusst.«
»Und sonst hat er nicht reagiert auf die Sache?«
»Auch wenn es sich komisch anhört, ich weiß es nicht. Er hat telefoniert, und ab und zu fiel der Name. Ich hatte den Eindruck, es regte ihn auf. Aber das hat uns alle aufgeregt. Man war es ja gewohnt, dass die Leute vom Bund Freiheit der Wissenschaft einen verhaften ließen, weil man diskutieren wollte. Die hätten ja die Studenten am liebsten zum Morgen- und zum Abendappell antreten lassen und Aufmüpfige bei Wasser und Brot in den Karzer gesperrt. Aber Mord, das war ein anderes Ding. Und dann noch in dieser gruseligen Thingstätte.«
»Weißt du, warum Ossi Polizist geworden ist?«
»Ich wusste bis vor kurzem nicht mal, dass er
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