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Schatten eines Gottes (German Edition)

Schatten eines Gottes (German Edition)

Titel: Schatten eines Gottes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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fiel sie ihm um den Hals und küsste ihn ab.
    »Dann musst du auch mit mir gehen, Lisbeth.«
    »Wohin immer du willst.«
    »Ich habe vor, hier in Straßburg bleiben. Dieser ganze Kreuzzug ist heller Wahnsinn. Niemand, der noch bei gesundem Verstand ist, sollte weitergehen.«
    »Adam, mein Adam, du bist so vernünftig. Das Gleiche denke ich schon lange. Aber wie bringen wir es Nicholas bei?«
    »Ich sage es ihm.«
    »Er hat sich verändert.«
    »Wir haben uns alle verändert, Lisbeth. Das ist nichts Schlechtes, wenn man sich zum Besseren verändert. Nicholas trägt eine schwere Bürde, er darf sie nicht einfach abwerfen. Seinetwegen sind die Kinder hier. Aber wir, du Lisbeth, Merte und ich, wir sind frei zu gehen, wohin wir wollen. Und wenn ich keinen Meister finde, der mich nimmt, dann arbeite ich als Tagelöhner. Ich bin es gewohnt, hart zu arbeiten. Vertraust du mir?«
    »Mehr als Gott selbst, Liebster, denn er hat uns auf dieser Reise verlassen. Auch ich kann arbeiten. Wir werden nicht untergehen.«
    »Nein, wir werden leben, weil wir den wahren Willen Gottes erkannt haben. Mit dem Ruf ›Gott will es!‹ sind die Kreuzritter aufgebrochen. Ich rufe ihnen entgegen: ›Gott will es nicht!‹ Er will nicht, dass die Christen die heiligen Stätten erobern. So viele sind daran schon gescheitert, und diese Kinder werden ebenfalls scheitern. Ich wundere mich nur, dass das keinem auffällt.«
    Später, als Adam auf Nicholas zuging, war ihm doch beklommen zumute, aber Nicholas umarmte ihn unter Tränen und flüsterte ihm zu: »Ich bin so froh, dass ihr euch dazu entschlossen habt. Bei Gott, ich wünschte, diese Einsicht wäre allen gegeben, dann könnten wir alle wieder nach Hause gehen.«
    Adam sah ihn erschrocken an. »Nicholas! Wenn du zweifelst, dann …«
    »Ja? Was dann? Darf ich allein nicht zweifeln?«
    »Dich hat Christus selbst an die Hand genommen«, stammelte Adam.
    Nicholas sah in den dunklen Nachthimmel, an dem er damals das Kreuz erblickt hatte. »Ja Adam«, erwiderte er tonlos, »es war Christus der Herr, aber manchmal frage ich mich, ob es nicht Satan war in seiner Verkleidung.«
    ***
    Daniel und Damien, die beiden Henkerssöhne, waren tapfer mitmarschiert. Wenn sie müde wurden, sangen sie aus vollem Halse, wenn sie verzagten, lasen sie sich gegenseitig aus ihren Büchern vor. Einige von denen, die ihnen in Köln geholfen hatten, waren nicht mehr dabei, sie waren zurückgeblieben oder gestorben. Andere hatten die Strapazen stumpf gemacht. Sie trotteten in der Spur des Nächsten wie Vieh, das zum Markt geführt wird.
    Daniel und Damien versuchten immer wieder, diese Kinder zu ermutigen. Sie lasen ihnen vor und forderten sie auf, mit ihnen zu singen. In Köln hatten sie von ihnen soviel Fürsorge, soviel Gemeinschaft erfahren, das wollten sie zurückgeben. Doch auch sie kostete der Weg täglich mehr Kraft. Überall, wohin sie kamen, verrammelten die Bauern ihre Scheunen, trieben ihr Vieh fort, schlossen die Städte ihre Tore, und die Händler versteckten ihre Waren, als sei der Kinderkreuzzug ein gefräßiger Heuschreckenschwarm. Auch für die Mönche wurde es immer schwieriger, Nahrung aufzutreiben. Der Hunger hielt die Kinder jetzt fest im Griff. Gleich mageren Schatten hockten sie sich an den Straßenrand und baten um einen Bissen Brot. Nur wenige spendeten Almosen. Kaum jemand wollte sich nun um die verrückten Kinder kümmern, die noch bei ihrem Auszug aus Köln mit Liedern und Geschenken verabschiedet worden waren. Wo sie durchkamen, waren sie den Leuten zur Bürde geworden.
    Aufgebrachte Bauern, in deren Höfe die Kinder eingebrochen waren, sollten gar einige aufgehängt haben. Harte Leute, die selbst eine große Kinderschar zu ernähren hatten. Mit Dieben machten sie kurzen Prozess. Auch die Raben schienen sich vermehrt zu haben. Krächzend und flügelschlagend begleiteten sie den Kreuzzug, denn sie witterten leichte Beute.
    Agnes ging es besser als den meisten. In den Dörfern und Städten konnte sie sich mit ihrem Geld immer wieder heimlich etwas kaufen. Auch hatte sie ihr Kreuz so angenäht, dass sie es leicht wieder entfernen konnte, damit man sie dort nicht als Kreuzfahrerin erkannte. Aber auch sie war erschöpft, und die heimlichen Ausflüge zerrten an ihrem Gewissen, wenn sie die hungernden Kinder sah. Sie wusste aber nicht, was sie tun sollte. Sie konnte nicht allen etwas geben, also gab sie keinem etwas.
    Sie hatte sich der Gruppe angeschlossen, die den Weg über den Mont Cenis gewählt

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