Schatten eines Gottes (German Edition)
Seite, nicht wahr?«
»Das geht Euch zwar nichts an«, entgegnete Emanuel, »aber wenn Ihr es wissen wollt, er befindet sich auf seinem Gut in Aachen, um seine Mutter zu besuchen.«
»Seine Mutter? Das ist rührend. Er ist nicht unterwegs, um das Pergament vor uns zu verbergen?«
Emanuel erhob sich zornig, worauf auch Sinan sofort aufsprang. »Ihr seid unverschämt, wisst Ihr das? Selbst, wenn es noch in unserem Besitz wäre, müsste ich Euch über das Pergament keine Auskunft geben. Wir hätten es Bruder Nathaniel freiwillig ausgehändigt, aber einen Anspruch hat er nicht darauf.«
»Das sehe ich anders.«
Sinan ging zur Tür, verriegelte sie und holte zu Emanuels Entsetzen aus seiner Brusttasche ein schmales goldenes Kreuz hervor mit einer messerscharfen Spitze. Sinan strich liebevoll darüber hin. »Und bald, Bruder Emanuel, werdet sicher auch Ihr anders darüber denken.«
Emanuel wich vor Sinan zurück, stolperte über seinen Stuhl und ließ sich ächzend darauf fallen. »Beim ewigen Höllenfeuer, wer seid Ihr? Wer schickt Euch?«
»Ich bin Sinan, und mich schickt der Meister, das sagte ich schon. Und nun redet, Mönch, sonst werden Euch alle sieben Dämonen heimsuchen.«
Dämonen? Ein angespitztes Kreuz? Emanuel wurde kreidebleich. Jetzt wusste er, wer vor ihm stand. Das Herz hämmerte wie ein Schmiedehammer gegen seine Rippen, seine Kehle war wie zugeschnürt, aber sein Schreien würde vermutlich ohnehin niemand hören. Dieser Teufel in Menschengestalt hatte sich bestimmt abgesichert. Wie ein Heuschreckenschwarm stürzten die Gedanken auf ihn ein. Stimmte es, dass der Meister ihn schickte? Dann wäre ja Bruder Nathaniel – Emanuel wagte nicht, diese Möglichkeit zu Ende zu denken. Und doch passte alles so gut zusammen. Mithras und der Hass auf die Christen, die Mithras bestohlen hatten. Wenn Sinan sein Diener war, dann war der allseits geachtete Kartäuserabt in Wirklichkeit der Fürst der Hölle.
»Starrt mich nicht so an! Ich besitze wenig Geduld.«
Seine Finger glitten sacht über einige Einkerbungen im Balken des Kreuzes. »Wo ist das Pergament?«
Emanuels Gedanken rasten. Er war hier eingeschlossen mit einem Wahnsinnigen. Was konnte er tun? Zeit gewinnen. »Ihr seid also der Dämonenmörder«, versuchte er kaltblütig zu erscheinen. »Hultuppu?«
Sinan lächelte kalt. »Ich sehe, Ihr wisst Bescheid. Aber kennt Ihr auch alle sieben Dämonen? Und wisst Ihr, dass jeder von ihnen für ein Körperteil steht? Wenn ich heuchlerische Christen töte, dann nehme ich das jeweils passende an mich, sozusagen als Opfer für den Dämon. Doch hier auf dem Kreuz sind alle sieben Dämonen eingraviert. Alle sind sie hier versammelt, um Euch Stück für Stück sagen wir einzuverleiben. Höre ich jedoch von Euch, wo sich das Pergament befindet, dann werde ich die Dämonen, die bereits nach Eurem Fleisch geifern, besänftigen und Euch schnell töten.«
»Ich will Euch gern die ganze Geschichte von Anfang an erzählen«, erwiderte Emanuel, seine Lippen bebten, Schweiß brach ihm aus. Seine Beherrschung war dahin.
Sinan setzte sich wieder und schlug die Beine übereinander. »Ich höre.«
Emanuel erzählte nun wahrheitsgetreu, wie alles angefangen hatte. Er erzählte vom Jakobskloster, von de Monthelon, von Burg Hirscheck, wie er das Palimpsest entdeckt hatte und wie sie beim Juden eine lateinische Übersetzung erhalten hatten. Weil sie befürchteten, wegen des Palimpsests in große Schwierigkeiten zu geraten, hatten sie den Text der Apokalypse noch einmal anfertigen lassen. Sie wollten die Welt glauben machen, dies sei das gefundene Schriftstück. Das Echte jedoch wurde Octavien in Mainz gestohlen. Deshalb konnten sie Nathaniel nur die Fälschung aushändigen. Dass dieser von den Zehn Geboten bereits wusste, das wurde ihnen erst in Rom auf der Versammlung klar.
Sinan hatte während der ganzen Zeit aufreizend mit dem Kreuz gespielt. Jetzt nickte er bedächtig. »Eine aufregende Geschichte, und ich glaube sie sogar.« Dann beugte er sich nach vorn und durchbohrte Emanuel mit seinen Blicken. »Bis auf die Sache mit dem Diebstahl.«
Emanuel zuckte zusammen. »Aber sie ist wahr!«, schrie er. »Weshalb sollte ich lügen? Ich gehöre zur Bruderschaft, ich habe keinen Grund, deinen Meister zu betrügen. Das schwöre ich.«
»Bei Jesus oder bei Mithras?«, entgegnete Sinan verächtlich. »Wer Jesus leichtfertig verrät, der würde auch Mithras verraten, habe ich recht?«
Emanuel überlegte fieberhaft, wie er Sinan
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