Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schatten eines Gottes (German Edition)

Schatten eines Gottes (German Edition)

Titel: Schatten eines Gottes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
Vom Netzwerk:
nicht. Würdest du mir denn etwas antun wollen?«
    Sinan schloss kurz die Augen und lehnte den Kopf zurück. »Dir etwas antun? Das ist ein dehnbarer Begriff. Deine Seele ist noch so weiß wie frisch gefallener Schnee, ich will sie nicht beschmutzen.«
    Nicholas Lippen zuckten, es war nicht klar, ob er ein Lachen oder ein Schluchzen unterdrückte. »Glaubst du, mich zu beschmutzen, wenn du mich berührst?«
    Sinan strich ihm mit der Hand sacht über die Wange. »Nicht, wenn ich dich so berühre, mein Freund.«
    »Du möchtest mich anders berühren?«
    »Du – weißt es?«
    »Es ist allzu offensichtlich, Sinan.«
    »Ich kann es nicht leugnen«, flüsterte Sinan. »Du musst mir vergeben. Ich bin ein schlechter Mensch, aber ich …«
    Nicholas ließ ihn nicht ausreden. Er stand auf, hängte sich die Becher über die Schulter und sagte: »Ich spreche jetzt mit meinem Meister. Zehn Tagessätze, das hattest du ihm doch versprochen?«
    Sinan schlug das Herz bis zum Hals. »Das sagte ich.«
    »Gut, er wird einverstanden sein.«
    Sinan sah Nicholas hinterher, wie er leichtfüßig mit seiner klingelnden Last davonging, nein, davonschwebte. Er schien Flügel zu besitzen, ein goldener Schein schwebte um sein Haupt, ehrfürchtig wichen die gewöhnlichen Menschen ihm aus.
    Sinan schloss die Augen, schüttelte sich und mahnte sich zur Vernunft.
Du leidest an Einbildung. Er gehört Gott, nicht mir, seine Seele ist noch unbefleckt. Ja, er wird mir verzeihen und mich vielleicht auf die Stirn küssen wie einen großen Bruder. Ich habe vergewaltigt und gemordet, aber er würde mich reinwaschen von allen Sünden mit seinem großen Herzen.
    Laut aufstöhnend stützte Sinan den Kopf in beide Hände.
Was für irrwitzige Gedanken gibt mir dieser Knabe ein! Ich bin Sinan, ausgebildet, um zu töten, nicht um zu lieben. Und ich werde mich nicht ändern. Niemals! Ich gehorche dem Meister. Ich bin sein Werkzeug, denn er wird mich mit der Herrschaft belohnen. Ich kehre zurück und töte den Franziskaner, dann den Papst. Und vorher töte ich so viele Christen wie möglich. Es gibt genug von ihnen, auch in Hama, auch in Akkon. Das ist meine Bestimmung. Und das heißt, ich muss hier weg. Ich muss jetzt aufstehen und gehen. Auf der Stelle. Und ich werde mich nicht mehr umdrehen, und wenn er mich ruft, werde ich taub sein.
    »Sinan?«
    Dieser fuhr hoch aus seinen Gedanken, Nicholas stand neben ihm. »Gehen wir? Mein Meister verlangt einhundert Dirham, ist dir das recht?«
    »Einhundert? Nun – äh, ja, das ist eine recht bescheidene Summe«, stotterte Sinan. Er holte tief Luft. »Wir können vorher noch einen Spaziergang an der Mauer machen oder den Schlangenbeschwörern auf dem Platz vor der Moschee zuschauen.«
    Nicholas zuckte die Achseln. »Wie du willst. Aber eigentlich sollten wir die Sache schon hinter uns bringen.«
    »Welche Sache?«
    »Na, unser Gespräch. Sagtest du nicht, wir wollten noch ein bisschen reden?«
    Sinan erhob sich und drückte das Kreuz durch. »Das sagte ich.« Seine Stimme war rau, feine Schweißperlen rannen ihm die Schläfe herunter. Er eilte voran, wollte diesem Gesicht entfliehen. Wenn er Nicholas erst in seinem Zimmer hatte, wie sollte er dann noch standhaft bleiben? Dann würde es geschehen, und er würde diesem geprüften Knaben weiteres Leid zufügen. Er würde seine reine Seele …
    Nicholas stieß ihn an und wies auf einen untersetzten Mann mit buschigem Schnurrbart, der mit einem feinen Hammer eine kupferne Schale bearbeitete. »Das ist Meister Hassan. Du musst ihm jetzt das Geld geben.«
    Sinan ging auf den Mann zu. »Salam.« Mechanisch zählte er ihm die Münzen in die ausgestreckte schwielige Hand. Er konnte ihn nicht ansehen, sonst hätte sein zufriedenes Grinsen ihn misstrauisch gemacht.
    »Allah haafiz«, krächzte der Mann ihm hinterher, »geh mit Gott!«
    ***
    Sinan bewohnte ein geräumiges Zimmer mit Ausblick auf den Platz vor der Moschee, doch jetzt waren die Fenster zum Schutz gegen die Hitze verhangen. Die Luft in dem dämmerigen Raum war kühl und duftete nach allerlei Wohlgerüchen, die von den Dienern des Hauses ausgestreut worden waren. Es war ein Zimmer für betuchte Gäste, ausgestattet mit einem prächtigen Diwan, bequemen Sitzkissen, kleinen Tischen, auf denen Obst und Gebäck bereitstanden, sowie Wasser in kostbaren Karaffen.
    »Fühle dich wie zu Hause«, sagte Sinan, während er Nicholas einen Becher mit Wasser füllte.
    Nicholas setzte sich auf den Diwan und sah sich um Zimmer um.

Weitere Kostenlose Bücher