Schatten eines Gottes (German Edition)
auf. Vielleicht hatte Nathaniel ihn zum Nachfolger erkoren, den Bücherwurm, den durchgeistigten Pergamentfresser, der noch an die Hölle und das Jüngste Gericht glaubte. Ihm wurde schwindelig. Er musste darüber nachdenken, später, wenn er wieder einen klaren Kopf hatte.
***
Nicholas lag im Bett. Unter der Decke war er nackt. So erwartete er Sinan jede Nacht; anfangs unbeteiligt, als setze sich lediglich der Schrecken vergangener Erlebnisse fort. Doch allmählich begriff er, dass ihm die Nähe zu einem Mann und alles, was er mit einem tat, sogar gefallen konnte. Auf dem Schiff, das ihn nach Akkon gebracht hatte, hatte er nur Abscheu und Grauen empfunden, und er hatte sterben wollen. Doch er lebte weiter, und er nahm es hin, dass es weiterging, immer weiter. Er gab sich Männern hin mit einer Gleichgültigkeit, die ihm half, den Verstand nicht zu verlieren. Er erkannte, was man von ihm wollte, und er erwarb sich Fähigkeiten, die Männer zu befriedigen. Das brachte ihm gutes Geld ein, das er in einen Meister investierte, der ihm ein Handwerk beibrachte, denn er wusste, dass er sich nicht auf die Dauer verkaufen konnte.
Dann war Sinan in sein Leben getreten. Nicholas hatte ihn an seinen Körper gelassen, aber von seinen Gefühlen wollte er ihn fernhalten. Er war ein gefährlicher Mann und unberechenbar, ein Skorpion im Gewande eines bunten Falters. Nicholas behielt das stets in seinem Gedächtnis, aber in den Nächten vergnügte er sich mit dem bunten Falter und vergaß den Skorpion.
Der Mann, den Sinan seinen Meister nannte, hatte ihn nicht willkommen geheißen. Nicholas war es gewohnt, dass man ihn verachtete, er hatte sich ja selbst verachtet. Gleich morgen früh würde er Sinan bitten, ihm woanders ein Zimmer zu besorgen. Er wollte nicht der Grund sein für ein Zerwürfnis zwischen den beiden. Doch als Sinan hereinkam, wusste Nicholas, dass er es nicht mehr verhindern konnte. Sinan machte keinerlei Anstalten, zu ihm ins Bett zu schlüpfen. Er beugte sich nur zu ihm hinunter, gab ihm einen Kuss und sagte: »Es tut mir leid, wie er dich behandelt hat. Ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist. Er hat sich verändert, vieles hat sich hier verändert, seit ich fort war.«
»Dann lass uns doch weiterziehen, oder hält dich etwas in diesem Haus?«
Sinan setzte sich zu Nicholas auf die Bettkante und strich über seine Hand. »Nein. Wir werden gehen. Schon morgen. Ich habe den Verdacht, dass er mich hier festhalten will, aber niemand macht mir meinen Platz in Neubabylon streitig, auch er nicht.«
Nicholas wusste ungefähr, was er sich unter Neubabylon vorzustellen hatte. Sinan hatte ihm hundertmal davon vorgeschwärmt. »Ich werde mich dort zum Parsen weihen lassen«, fuhr Sinan fort. »Und dann ist es nur noch eine Stufe zum Lichte, verstehst du?«
Nicholas nickte. »Dann wirst du der Meister des Lichts sein.« Sinan hatte schon oft darüber gesprochen.
»Ja. Ich werde die Bewegung führen, so wurde es mir versprochen, und so wird es sein. Natürlich erst nach dem Tode des Meisters. Aber bis dahin muss ich meinen Anspruch auf die Führung sichern.«
»Macht sie dir jemand streitig?«
»Das werde ich herausfinden. Mein Bruder Sarmad besitzt den Vorteil, bereits im Nest zu sitzen. Er ist ehrgeizig, wenn er auch keine Führungsqualitäten besitzt.«
»Wer bestimmt, wer führt?«
»Die Gemeinschaft der Edlen. Sie wählt das neue Oberhaupt. Es war bisher nie strittig, dass ich Nathaniels Nachfolger werde, aber ohne seine Unterstützung dürfte es schwer werden, besonders dann, wenn ich abwesend bin und mich nicht darum kümmern kann.«
»Warum will dich dein Meister nicht mehr unterstützen?«
Sinan zuckte die Achseln. »Gesagt hat er es nicht, aber ich fühle es. Er hat seine Meinung geändert. Und seine neuen Pläne verrät er mir nicht. Unser Vertrauensverhältnis ist – nun, vielleicht nicht zerbrochen, aber schwer angeschlagen. Doch auch er soll sich vorsehen. Niemand treibt seine Spielchen mit Sinan al Abu Yahya al Karim.«
Das glaubte ihm Nicholas aufs Wort.
Jetzt erst entledigte sich Sinan seiner Kleider und schlüpfte zu Nicholas ins Bett, den Dolch griffbereit an seiner Seite. Seine Hand glitt Nicholas sofort zwischen die Schenkel, und dieser berührte ihn. Und während sie sich gegenseitig rieben, küssten sie sich. So begann es immer, es war wie ein Ritual. Aber Sinan war nicht bei der Sache. Zu viele Gedanken jagten ihm durch den Schädel. Er ließ Nicholas an sich spielen, und erst, als
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