Schatten eines Gottes (German Edition)
geholt. Nicholas hatte ihr befohlen, eine Nacht bei der Mutter zu bleiben, die noch sehr schwach war, und sie gut dafür bezahlt. Er versprach der Köhlerin, am nächsten Tag nach ihr zu sehen, blinzelte Adam zum Abschied zu und machte sich auf den Heimweg. Er hatte bereits die halbe Strecke zurückgelegt, als die Abenddämmerung das Land in blaugraue Schatten tauchte. Schmale Wolkenbänke glitten über den Horizont. Die untergehende Sonne tauchte sie in flammendes Rot, das an den Rändern in helles Orange und zartes Violett überging. Nicholas stand unter einer Kiefer und schaute andächtig auf die königliche Pracht, mit der Gott den Tag verabschiedete. Stets fand er den Anblick überwältigend.
In dem berauschenden Farbenspiel schien sich Gottes Versöhnung mit der Welt auszudrücken. Nicholas war dankbar über die gelungene Entbindung. Von ihren sieben Kindern hatte die Köhlersfrau nicht eins verloren, sie war gesegnet. Gottes ganz besondere Gnade lag auf diesem ärmlichen Haus, das alle anderen verachteten. Eine Hütte, die einem Stall glich, in dem Schafe und Ziegen hausten.
In einem Stall war auch der Heiland geboren. Verachtet von aller Welt hatte er in der Krippe eines Ochsen gelegen, und doch waren die Weisen aus dem Morgenland gekommen, um ihn anzubeten. Die Heiligen Drei Könige hatten für Nicholas eine ganz besondere Bedeutung. Er verdanke ihnen sein Leben, hatte seine Mutter gesagt. Ihre Gebeine wurden in einem Schrein im karolingischen Dom verwahrt, vor dem Nicholas schon oft gebetet hatte. Doch erst in diesem Augenblick wurde ihm ihr Wesen klar. Die Heiligen Drei Könige verkörperten die Liebe Gottes in all seiner Herrlichkeit, die sich den Verlassenen und Verlorenen, den Verachteten und Vergessenen zuwendet, mochten sie in einem Stall oder in einer Köhlerhütte geboren worden sein.
Von St. Aposteln ertönte bereits das Angelusläuten. Nicholas riss sich los aus seinen Betrachtungen. Er durfte nicht länger verweilen, wollte er noch vor dem Schließen der Stadttore heimkommen.
Als der halbkreisförmige Mauerring von Köln in Sichtweite kam, geriet auch ein Mann in sein Blickfeld, der vornüber geneigt am Wegesrand auf einem Feldstein saß, als lese er in einem Buch. Nicholas wunderte sich über den Gesellen, der es offensichtlich nicht eilig hatte, die sichere Stadt noch vor dem Dunkelwerden zu erreichen. Als Nicholas näherkam, erkannte er an der braunen Kutte, dass es einer von den Bettelmönchen war. Nun bemerkte er auch, dass der Mönch sich nicht über ein Buch, sondern über seine gefalteten Hände beugte. Obwohl Nicholas ihn nicht beim Beten stören wollte, grüßte er freundlich im Vorübergehen. »Gelobt sei Jesus Christus.«
Der Mönch hob den Kopf, schlug seine Kapuze zurück und antwortete: »In Ewigkeit. Amen.«
Nicholas erkannte ihn sofort wieder. Das gütige, von einem schwarzen Bart umrahmte Antlitz gehörte jenem Mönch, den er damals auf dem Heumarkt getroffen hatte. Ihn durchströmte eine große Freude. Die dunklen Augen in dem alterslos scheinenden Gesicht musterten ihn aufmerksam. Warme Zuneigung sprach aus ihnen und ein tiefer Frieden, der die zerbrochene Welt einen Atemzug lang zu heilen vermochte. »Setz dich zu mir, Nicholas!«
»Ihr kennt mich?«, fragte Nicholas verblüfft, während er sich zögernd neben dem Mönch niederließ.
»O ja. Wer kennt ihn nicht, den Engel von Köln?«
Nicholas wurde dunkelrot vor Verlegenheit. »Ich habe Euch schon einmal auf dem Heumarkt gesehen.«
»Ich weiß.«
»Ihr habt mich bemerkt?«
»Du bist zu groß, um dich zu übersehen, und zu laut, um dich zu überhören.«
Darauf wusste Nicholas keine Antwort. »Ich hatte mich nach Euch umgesehen, aber Ihr wart verschwunden.«
»Deshalb habe ich mich von dir finden lassen.«
»Ihr – ihr habt hier auf mich gewartet?«, Nicholas spürte eine leichte Beklemmung. Eine große Kraft ging von dem Mönch aus, der er sich nicht gewachsen fühlte. Was wollte der Franziskaner von ihm?
»Ich kann leider nicht länger bleiben«, erwiderte Nicholas verlegen. »Die Stadttore werden bald geschlossen.«
»Bleib noch. Ich will dir etwas zeigen, aber dazu brauchen wir die Dunkelheit. Sorge dich nicht wegen der Stadttore, ich kenne eine Pforte am Eigelsteintor, durch die wir jederzeit in die Stadt schlüpfen können.«
Nicholas war viel zu neugierig, um abzulehnen. Wenn der geheimnisvolle Mönch ebenfalls die verborgene Pforte benutzte, konnte es keine Sünde sein.
Stumm saßen sie
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