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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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gefallen, und meine Mutter, zurückgeblieben mit mir als einzigem Kind. Ich also das Herzblatt, behütet und nicht aus den Augen gelassen, Bildung? Durch Hauslehrer natürlich, einen Araber, einen Perser, die mich in alle Feinheiten ihrer Sprache einführten, dazu in das heiligste der Bücher, aber auch in die Literatur und in die Philosophie. Und dann, mit siebzehn Jahren, Verlust der Mutter und hinaus aus der Enge dieser Mauern, dieser Berge – endlich die Welt sehn, das Leben kennenlernen! – also in den Krieg gegen die Ungläubigen! Mit Murad übers Meer.
    Gefangennahme im ersten Scharmützel. Als Sklave verkauft. Gekauft von einem Gelehrten, der medizinische Bücher aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzen lassen will. Und mich, zu diesem Zweck, Lateinisch lehrt. Doktor Salfini nennt er sich und unterrichtet Medizin an der Hohen Schule in Padua. Dort muss ich nun studieren, denn je tiefer ich in diese Wissenschaft eindringe, desto besser müssen ja auch die Übersetzungen gelingen, aber einen akademischen Grad lässt man mich nicht erwerben, denn ... (was soll ich sagen? Das mit dem Spurius passt ja nicht zur Anamnese, und außerdem würde es hierzulande auch kein Mensch fassen, wo Söhne von Sklavinnen Kalifen und Sultane werden können). Also was? Dass man wollte, ich solle mich taufen lassen, aber ich mich dagegen sträubte? (Ja, das wäre glaubhaft.) Doch muss ich im Lügen wirklich so weit gehen? Genügt es nicht, wenn ich sage: denn ich war nicht einer der Ihrigen? (Nun, es genügte!)
    Also fort von Padua. Sich durchschlagen in den Ländern der Christenheit, mehr schlecht als recht. Zuletzt Dolmetscher – warum nicht bei Cesarini? Dann spare ich mir den ganzen Umweg über Ungarn, und der Kardinal bringt mich ja ebenfalls in die Schlacht bei Warna! Die Muttersprache, das Heimweh! Der Kleiderwechsel. (Das kann alles erzählt werden.)
    Dann aber: warum nach Samarkand und nicht nach Kowa'ir? Erfahre ich, dass mein Vaterhaus zerstört ist? Von Feinden? Wilden Bergvölkern, Kaukasiern etwa? (Ach, die Kaukasier kommen nicht in die Türkei, viel eher die Türken in den Kaukasus. Kurden wären naheliegender.) In Brussa die Begegnung mit den Derwischen (kann erzählt werden). Und dann höre ich, dass es unter Allahs Himmel keinen Ort gibt, wo die Wissenschaften so gepflegt werden wie in Samarkand. Und komme her, weil ich hoffe, hier das zu finden, was ich in Padua vergeblich gesucht habe. (Und ist das vielleicht nicht so wahr, wie dass die Sonne scheint und die Sterne am Himmel kreisen?)
    Ja, es ist wahr – denn als ich meine Legende nun dem arabischen Arzt erzählte, packte sie mich selber so, dass ich Mühe hatte, meine Fassung nicht zu verlieren. Und auch Ismail war bewegt. »Was für seltsame Schicksale es doch gibt«, sagte er. »Da hörte ich neulich von einem Mann, den es aus dem fernsten Abendland hierher verschlagen hat. Er war mit dem Christenheer gegen Bajazid gezogen, war in Nikopolis in die Gefangenschaft der Türken geraten, wurde gezwungen, mit ihnen gegen Timur zu kämpfen, geriet bei Angora in die Hände der Tschagataier und kam mit ihnen nach Samarkand. Man hat mir auch gesagt, wie er hieß. Warte, gleich fällt es mir ein.« Eine heiße Welle schlug mir bis unter die Stirn. War damit mein Vater gemeint? Aber wer wusste denn hier, dass der Türke Kükülli eigentlich gar kein Türke gewesen war? Und da fiel auch der Name. Ein anderer Name. »Schiltbürger oder so. Von irgendwo aus Franghistan. Soll auch wieder zurückgegangen sein.«
    Es ergab sich wie von selbst, dass mich Ismail Ben Kais aufforderte, ihn zu besuchen, dass er mir seine Bücherschätze zeigte (er besaß eine Menge der Arbeiten Ibn Sinas, den man im Abendland Avicenna nennt, ich hatte aber in Padua nur diesen Namen gehört und nie eine seiner Schriften in die Hände bekommen) und mir erlaubte, mitzunehmen und abzuschreiben, was immer ich wollte. Und schließlich bot er mir an, bei ihm Repetitor zu werden. Das war die erste Stufe auf der Leiter zur akademischen Laufbahn, nun also war endlich mein Glücksstern aufgegangen!
    Er war das auch in einer andern Hinsicht. Ich war noch nicht sechs Wochen als Gast im Hause des Kasis, da fragte mich Rachman, ob ich nicht seine Schwester zur Frau nehmen wolle. »Leila? Ich denke, sie ist verheiratet?«
    »Geschieden. Ihr Mann hat sie misshandelt. Da hat sie sich zum Vater geflüchtet, und ihm ist es gelungen, sie von dem Scheusal zu befreien.«
    Die Tochter des Kasis von Samarkand.

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