Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
Nebenzimmer geführt wurde, und seine Schreie schnitten mir in die Ohren. Doch als mein Vater mich an die Hand nahm, war mir, als fühlte ich seine Stärke und seinen Mut in mich übergehen, ich schloss die Augen, biss mir auf die Lippen und konnte den Schmerzenslaut unterdrücken.
Zu Hause schloss mich meine Mutter wortlos in die Arme und küsste mich unter Tränen. Ich aber sagte zu ihr, matt von all dem, was ich erlebt und ausgestanden hatte: »Weine nicht, Mütterchen, ich bekomme ja ein Pferd!«
Die Erlebnisse dieses Tages haben sich mir deshalb so fest in der Erinnerung verankert, weil sie einen Einschnitt in mein Leben bedeuteten, wie man sich ihn tiefer und folgenschwerer gar nicht vorstellen kann.
Meine Mutter, aus deren Umkreis ich mich bis dahin kaum ein paar Schritte weit hatte entfernen dürfen, sah ich nur noch morgens und abends, wenn sie mich weckte und wenn sie mich zu Bett legte, und bei den Mahlzeiten, sofern ich die nicht mit meinem Vater zusammen an anderen Orten einnahm. Am liebsten hielt ich mich in den Ställen auf. Das Pferd, das er mir in Aussicht gestellt hatte, durfte ich mir selbst aussuchen. Die Wahl war bald getroffen. Sie fiel auf eine dreijährige Schimmelstute – denn Nachwuchs wollte ich schließlich auch haben.
Die Pferde und das Reiten blieben aber nicht meine einzige Beschäftigung. Denn sehr bald musste ich zur Schule gehn. Schule ist eigentlich nicht das richtige Wort. Wohl gab es solche in Samarkand mehr als in irgendeiner Stadt der Christenheit, aber sie wurden nur von den Söhnen der ärmeren Leute besucht, deren Väter sich keinen Hauslehrer leisten konnten.
Mein Vater wäre dazu wohl imstande gewesen und hätte das wahrscheinlich auch lieber getan, als das Angebot seines Vorgesetzten anzunehmen und mich in dessen Haus unterrichten zu lassen. Aber er konnte dieses Angebot natürlich ebenso wenig ausschlagen wie das vorherige. Und so kam es, dass ich bald in Ben Nisams Haus ein und aus ging.
Das Persische, das dort gesprochen wurde, lernte ich schnell. Denn in der Kindheit haben die Menschen ja noch diese wunderbare Fähigkeit, die Sprachen durch die Ohren ins Herz eindringen zu lassen, und so wenden sie ihre Regeln, ohne sie zu kennen, ja ohne zu wissen, dass es sie überhaupt gibt, viel sicherer an als einer, der die Grammatik auswendig gelernt und alle Regeln und alle Ausnahmen dieser Regeln in seinem Kopf aufgestapelt hat wie Waren in einem Basar. Denn der weiß oft nicht, in welchen Stapel er nun langen und welche Ware er seiner Kundin, der Zunge, anbieten soll, aber aus dem Herzen springen die Schätze ihr mühelos zu, und sie verschwendet sie mit Anmut, wie ein hochgesinnter Fürst die seinen.
Das Persische half mir jedoch beim Unterricht gar nicht, denn der wurde, wie überall in den islamischen Ländern, natürlich arabisch erteilt.
Mit Abbas nahmen noch zwei seiner Vettern am Unterricht teil, zu viert saßen wir also über unsern Schreibheften aus rotlackiertem Papier, schrieben die Buchstaben des Alif-Ba mit unsern Rohrfedern darauf (Gänsekiele verwenden sie dort nicht) und wischten sie mit einem nassen Lappen wieder ab, sobald das Heft voll war. Das war leicht und lustig und machte uns Spaß. Schwerer wurde es uns, die Sprüche des Korans auswendig zu lernen, von denen wir kein Wort verstanden. Wie unsere Zungen über die arabischen Sätze stolperten! Wie sich der Hals gegen die rauen Kehllaute sträubte, die weder das Tschagataische noch das Persische kennt. War es nicht, als ob uns ein dicker Brocken in den Schlund gestopft würde, den wir herauswürgen mussten, weil wir sonst daran erstickt wären?
Unser Lehrer war selbst kein Araber, sondern ein Perser, der die Sprache des Korans ebenfalls mühselig erlernt hatte über Emsele, Bina, Ilal, Maksad und wie diese Begriffe ihrer Sprachlehre nun alle heißen, und ebenso mühselig suchte er sie uns einzubläuen, sodass ich ihre Schönheiten damals nicht wahrnehmen konnte. (Sie ist unvergleichlich in der Reichhaltigkeit ihres Wortschatzes, in der Vielfalt ihrer Synonyme, in der Differenziertheit ihrer grammatischen Formen, und ich glaube nicht, dass man in irgendeiner andern Sprache der Welt die feinsten Abschattierungen der Gedanken und Gefühle so genau wiedergeben kann wie gerade in dieser. Aber das erleichtert ihr Erlernen natürlich nicht.)
Am schwersten hatte es Abbas damit. Und als sich der Lehrer bei Ben Nisam darüber beklagte, sagte er: »Schlag ihn, wenn er faul ist! Er trägt ja keinen
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