Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
Untergebenen, die er brauchte (wie meinen Vater zum Beispiel, auf den er sich verlassen konnte und der ihm alle Arbeit abnahm in den Ställen und selbst in der Falknerei, von der dieser Perser sowieso nichts verstand), ließ er seine üblen Launen aus an jenen, die seiner Willkür ausgeliefert waren.
Abbas ging ihm darum aus dem Wege, sooft er konnte. Und ich ebenfalls, obgleich er zu mir immer freundlich war. Aber wenn mir seine dicken Finger über die Wangen strichen, was er sie gern tun ließ, fühlte ich ein missbehagen, das anders, aber nicht weniger heftig war, als wenn er mich geohrfeigt hätte.
Abbas war der schlechteste von uns vier Schülern, und niemand war darüber erboster als Ben Nisam. Oft wohnte er dem Unterricht bei, um ihn zu prüfen, und dann konnte es geschehen, dass Abbas selbst das nicht über die Lippen brachte, was er schon auswendig wusste. Verstört sah er zu Boden, bis Ben Nisam mit scheinheiliger Freundlichkeit sagte: »Hier hast du ein Messer, mein Sohn – geh in den Garten und schneide mir eine Rute.«
Und ich musste dem bedauernswerten Abbas die Koranstelle vorsagen, und er musste sie wiederholen mit vorgestreckter Hand, und bei jedem Steckenbleiben erhielt er einen Schlag mit der Rute – wehe ihm, wenn er die Hand zurückzog und der Schlag danebenging. Aber das geschah selten. Ganz anders ging Ben Nisam mit Hussejn um, seinem Lieblingssohn. Der war um mehrere Jahre jünger als Abbas, konnte sich aber ihm gegenüber alles herausnehmen, weil er wusste, dass sein Vater ihm alles nachsah. So kam er einmal mit blutendem Knie und Tränen in den Augen zu Ben Nisam gelaufen und rief: »Abbas hat mich gestoßen!« Aufs Äußerste aufgebracht, wollte der Perser seinen Ältesten wieder züchtigen und sagte, als sich Abbas schon mit dem Messer in der Hand zum Gehen anschickte: »Bring gleich zwei Ruten mit – aber tüchtige.«
Ich jedoch hatte gesehen, dass Abbas nicht schuld war an Hussejns Hinfallen, und obwohl mir das Herz im Halse schlug, trat ich doch dem Wütenden entgegen und sagte: »Nicht Abbas hat Hussejn gestoßen, sondern Hussejn hat dem Abbas ein Bein gestellt, dass er hingefallen ist und im Sturz den Kleinen mitgerissen hat.«
»So«, sagte Ben Nisam verbissen, »so.«
Nun bekommt Hussejn die Prügel, dachte ich, und ich muss gestehn, dass ich sie dem kleinen Taugenichts von Herzen gönnte. Aber es kam anders.
Abbas zitterte am ganzen Körper, während er seinem Vater die Ruten hinhielt. Ben Nisam griff nicht danach, maß nur den Sohn mit verächtlichen Blicken und weidete sich an dessen Angst. Dann kehrte er sich dem kleinen Hussejn zu und hob ihn auf den Arm.
»Ist es wahr, was Achmad gesagt hat?«
»Nein«, schrie der Schelm, »er lügt!«
»Wie schlau er ist!« sagte Ben Nisam zärtlich. »Ein kleiner Teufel – wie seine Mutter! Und Abbas ist dumm – auch wie seine Mutter. Aber du, Achmad, du bist schön – hast du das ebenfalls von deiner Mutter?«
Er fuhr mir bei diesen Worten übers Haar, und so jung ich war, fühlte ich doch die ungeheure Anmaßung, die in dieser Zudringlichkeit lag, und: »Frag das meinen Vater!« fuhr es mir heraus, indem ich den Kopf unter seiner Hand zur Seite riss.
Da fasste er nach meinem Handgelenk, hielt es fest und zwang mich, ihm in die Augen zu sehen.
»Und ist sie auch so stolz wie du?«
»Wir haben ein Recht, stolz zu sein, meine Mutter und ich. Mein Vater hat uns noch niemals geschlagen.«
»So«, sagte er, und aus seinen gelben Augen sprang mich die Tücke an wie eine Tigerin, »dann tue ich ja ein gutes Werk, wenn ich das Versäumte deines Vaters nachhole und dich Anstand und Sitte lehre! Spricht das Kind eines Dieners so mit dem Herrn seines Vaters?«
Damit ergriff er eine der Ruten und schlug mich, bis sein Arm erlahmte.
Als er endlich müde geworden war, sagte er zu Abbas: »Gib deinem Freund ein neues Hemd – und nimm dir ein Beispiel an ihm. Er war auch noch zu stolz, um zu schreien.« Ich sprach kein Wort mehr, ließ mir das zerfetzte Hemd ausziehn und ein neues überstreifen und ging nach Hause wie nach einer ehrenvoll verlorenen Schlacht. Ein Glück, dass mein Vater der Erste war, der mir entgegentrat. Als er erfuhr, was geschehen war, drückte sich in seinem Gesicht eine Erregung aus, die mich tief erschreckte. Aber das Einzige, was er zu mir sagte, war: »Lass deine Mutter nichts davon wissen, Kind, lass sie um Gottes willen nichts davon wissen! Verbirg deine Striemen vor ihren Augen, und wenn dir das nicht
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