Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
man in ihrer Pflege aufwenden muss, damit nicht jene Krankheiten sie befallen, denen sie in der Gefangenschaft so leicht erliegen! Wer das weiß, wird verstehen, dass der Jäger um solch ein Tier trauert wie um einen gefallenen Freund.
So wischte ich denn dem toten Vogel das Blut vom Gefieder, dass seine Brust wieder weißlich schimmerte und man die feine Zeichnung seiner Flügel- und Schwanzfedern erkennen konnte und verpackte ihn sorgfältig in meiner Satteltasche.
Dieses blutige Schauspiel am Himmel hatte die ganze Jagdgesellschaft so gefangen genommen, dass keiner darauf achtete, was am Boden geschah. Ein wilder Keiler war aus dem Röhricht gebrochen, aber erst sein lautes Grunzen ließ uns aufschrecken. Und schon war es zu spät. Unsere Pferde wieherten, bäumten sich und waren kaum zu halten. Jeder von uns hatte Mühe, im Sattel zu bleiben, und plötzlich sahen wir Ulug Beg am Boden liegen und den Keiler mit gesenktem Kopf und gesträubten Borsten auf ihn zurennen.
Die Männer ließen die Falken fliegen, sprangen von den Pferden, rissen die Speere aus dem Gehänge, rannten auf das Tier los und schrien, so laut sie konnten, um es auf sich zu lenken. Das Wildschwein ließ sich jedoch nicht beirren, und der Abstand war zu groß, als dass sie es mit ihren Speeren hätten treffen können. Ich hingegen hatte endlich mein Pferd gebändigt, legte einen Pfeil auf den Bogen und schoss.
Es war überaus töricht, was ich tat. Mein Verstand hätte mir sagen müssen, dass ein Pfeil, aus solcher Entfernung abgeschossen, die zähe Schwarte eines starken Wildschweines niemals durchbohren, sie höchstens ritzen kann und das Tier dadurch noch mehr gereizt wird. Aber in solchen Augenblicken regt man die Hand unwillkürlich, als ob sie gelenkt würde. Und siehe da, mein Pfeil traf den Eber gerade ins linke Auge. Wütend brüllte er auf und warf sich zur Seite. Und im nächsten Augenblick stand Ulug Beg auch schon auf den Beinen, und ein Speerstoß machte dem Tier den Garaus.
Die Jagd wurde abgebrochen. Als wir nach Hause ritten, befahl Ulug Beg mich an seine Seite. »Das also ist dein Sohn, Kükülli«, sagte er zu meinem Vater, und, zu mir gewandt: »Wenn du nicht geschossen hättest …« Er beendete den Satz nicht, aber jeder wusste, was er dachte. Herrscht doch unter den Moslems die Vorstellung, dass ein durch ein Wildschwein verursachter Tod auch den Frömmsten »nedschis«, das heißt unrein, macht und selbst ein fünfhundert Jahre währendes Brennen im Fegefeuer ihn davon nicht reinigen kann.
»Allah hat meinen Pfeil gelenkt«, beeilte ich mich zu erwidern, »damit mein Gebieter noch viele glückliche Tage erlebe.« Ich war darauf, dass mir die Worte einfielen, die einem so hohen Herrn gegenüber angemessen sind, noch stolzer als auf meinen Schuss. Und sie verfehlten auch nicht ihre Wirkung.
»Du hast den Koran mit Verstand gelesen, du Sohn der Bescheidenheit«, nahm Ulug Beg wieder das Wort, »und weißt, dass Ruhm und Ehre für alle unsere Taten dem Höchsten allein gebühren. Bist nicht du es, den man den kleinen Heiligen nennt, weil er das Gelübde abgelegt hat, den Koran abzuschreiben?«
Ich bejahte.
»Und wo stehst du jetzt?«
»Bei der Sure ›Der Erbarmer‹.«
Da rezitierte er:
»Der Erbarmer lehrte dich den Koran.
Er erschuf den Menschen,
er lehrte ihn deutliche Sprache.
Die Sonne und der Mond sind Gesetzen
unterworfen,
und die Sterne und Bäume werfen sich anbetend nieder,
und der Himmel, er hat ihn erhöht,
und die Waage, er hat sie aufgestellt,
auf dass ihr euch an ihr nicht vergeht
und wäget in Gerechtigkeit
und nicht vermindert ihr Gewicht.«
Hier hielt er inne und lächelte mir aufmunternd zu, und ich setzte fort (nein, ich stockte nicht, obwohl mir das Herz bis zum Halse schlug):
»Und die Erde, er hat sie hingestellt
für die Geschöpfe.
Und ihrer sind die Früchte und Palmen mit
Blütenscheiden
und das Korn voll Halme für den
Lebensunterhalt.
Und welche der Wohltaten eures Herrn
wollt ihr beide wohl leugnen?«
»Nun sag mir nur eines noch«, unterbrach mich Ulug Beg, »was willst du tun, wenn du mit deiner Arbeit fertig bist willst du Falkner werden wie dein Vater, oder möchtest du lieber einen andern Weg einschlagen?«
Ein Falkner werden? Dass mir das noch nie jemand vorgeschlagen hatte, selbst mein Vater nicht! War es nicht ein Großes, dass der Mensch diesen scheuen und wilden Vögeln seinen Willen aufzwingen konnte? Und war das Leben, das er mit ihnen führte, nicht
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