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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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vom Pavillon nichts anderes erblicken als seine azurblaue Kuppel, die von einem Türmchen gekrönt wurde, und die vier schlanken Säulen, die das Türmchen umgaben. Auf jedem von ihnen saß eine goldene Kugel, aus der, wie eine Blüte auf einem Stiel, ein silberner Halbmond hervorwuchs, und als ich die Blicke zu ihnen erhob, blendete mir der Wider schein der Sonnenstrahlen, die sich darin spiegelten, fast die Augen.
    An einer Stelle der Umzäunung waren die Seidenstoffe hochgerafft, sodass wir wie durch einen Torbogen hindurchgingen, und da hatte ich plötzlich das ganze Bauwerk vor mir: Auf zwölf Säulen, jede vom Umfang einer Menschenbrust und so hoch wie drei Lanzen, stützte sich die Decke. Die Säulen standen nicht auf der Erde, sondern auf einem Podest, um das herum eine Treppe mit acht Stufen lief. Alles war quadratisch in Form eines riesigen Zeltes angeordnet, und nur die Kuppel, die die Decke überwölbte, rundete sich oben zu einer Halbkugel. Seidengewebe waren auch von Säule zu Säule gespannt, grün und weiß, blau und rot, mit Goldfäden durchwirkt. Die Säulen waren mit bunten Kacheln umkleidet, deren Ornamente vom Boden bis zur Decke gingen, ohne sich je zu wiederholen. Ich habe der gleichen im Abendland nie gesehen.
    Als wir die oberste Treppenstufe erreicht hatten und den riesigen Raum betraten, wurde mir fast schwindlig. Viele Menschen standen beisammen, aber sie dämpften ihre Stimmen so, dass es nur klang wie leises Wipfelrauschen. Und sie drängten sich links und rechts des Einganges und ließen eine Gasse frei, die zum Thron führte, auf dem der Herrscher saß.
    Ein ganz anderer schien er mir zu sein als jener Ulug Beg, der zur Jagd ausgeritten war. Weitaus prächtiger das Gewand! Ein ärmelloser Umhang aus blauer Seide, pelzverbrämt und reich mit Goldfäden bestickt, fiel weit über ein gelbes eng anliegendes Unterkleid, das seine Beine bis zu den Knöcheln verdeckte. Viel starrer, undurchdringlicher seine Miene und er unnahbar – wieder der »Schatten Gottes auf Erden«.
    Die Diener hätten meine Schulter nicht zu berühren brauchen, um mir anzudeuten, dass ich auf die Knie sinken musste – und ich weiß nicht, wie lange ich reglos in dieser Stellung verblieben wäre, doch endlich fassten sie mich an den Armen und halfen mir aufzustehen. Zweimal noch wiederholte sich diese Zeremonie, immer kam ich dabei um einen Schritt näher an den Thron heran, und dann stand ich – mein Vater war zur Seite getreten – allein vor Ulug Beg, und das Herz schlug mir bis zum Halse. Den Koran, den ich abgeschrieben hatte, hielt ich in der Hand, um ihn dem Sultan als Dankgeschenk zu überreichen, doch vermochte ich den Arm nicht zu bewegen, so benommen war ich.
    Er sah meine Verlegenheit und kam mir zu Hilfe. »Das also ist das Buch deines Fleißes«, sagte er, griff danach und schlug es auf. »Neshi-Schrift. Gut lesbar. Und mit wie hübschen Rosetten du die Versenden bezeichnet hast!«
    Ich freute mich des Werkes meiner Hände, freute mich, dass Tirsad ihm auf Wunsch meines Vaters einen so kostbaren silbernen Einband gegeben hatte, und der Stolz, den ich bei Ulug Begs Worten empfand, gab mir die Sprache wieder. Mit der im Umgang mit Hochgestellten üblichen Heuchelei sagte ich: »Meine unansehnliche Arbeit ist es nicht wert, von den Blicken meines Herrn gestreift zu werden, und wenn mein Herr sie dennoch einer Beachtung für würdig hält, kennt mein Glück keine Grenzen. Möge er diese geringe Gabe von mir annehmen, weil ich nichts Besseres besitze, mit dem ich meine Dankbarkeit ausdrücken könnte.«
    »Sieh da, Knabe, du weißt nicht nur die Buchstaben auf dem Papier fein säuberlich anzuordnen, sondern auch die Worte deiner Rede! Nun denn, so wollen wir mit deiner Prüfung beginnen.«
    Er klatschte in die Hände, und ein in hellgrüne Seide gekleideter Diener, kaum älter als ich selbst, näherte sich dem Thron unter vielen Verbeugungen.
    »Rufe den ehrwürdigen Scheich Ibrahim al Nischapuri herbei«, sagte Ulug Beg, und mir lief es kalt über den Rücken. Ibrahim al Nischapuri – war das nicht jener Gelehrte, über dessen Weisheit alle Welt sprach und der nach Samarkand berufen worden war, um der großen Medrese vorzustehen, die in Kürze fertiggestellt sein würde? Und ausgerechnet der sollte mich in das Kreuzfeuer seiner Fragen nehmen?
    Ich hatte ihn mir ganz anders vorgestellt: mächtig von Gestalt, mit gewaltiger Stimme, Furcht einflößend schon mit den Blicken. Doch nun sah ich einen

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