Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
praktisches Verfahren. Liebesbriefe hätte man hier so hin- und hergehen lassen können – aber wo gab es eine Frau, die imstande gewesen wäre, sie zu lesen?
Der Sommer verging. Die Ernte fiel in diesem Jahr reichlicher aus als jemals. Auch die Weintrauben waren so gut geraten, dass man kaum Fässer genug hatte, den Most einzufüllen. Und als Ende Oktober die Weinlese vorbei war, wurde die Hochzeit gefeiert.
Es wurde getafelt und gebechert, gesungen und getanzt. Die Gäste kamen von weit her angereist. Das Haus fasste sie kaum. Beim Essen und Trinken hatte ich eifrig zugelangt. Besonders beim Trinken. Der Most, der nun angefangen hatte zu gären, war so süß und prickelnd, ich merkte es gar nicht, wie er zu Kopfe stieg. Doch beim Singen schwieg ich, und beim Tanzen blieb ich allein.
Plötzlich stand die Braut neben mir. »Warum tanzt du nicht, Gyurka?«
»Hab's nicht gelernt. War bei uns nicht Sitte.« »Bei uns? Bei uns? Sag das nicht wieder, Gyurka, meine Seele. Komm, bei uns ist es Sitte, und ich lehre es dich!«
Sie zog mich mit in den großen Kreis, wo sich die Herrn vor den Damen verneigten und die Damen ihre Knickse machten, ich tat ein paar linkische Bewegungen, mein Vater nickte mir zu, hüpfte von einem Bein aufs andere, schlug mit der flachen Hand auf den Stiefelschaft, wirbelte seine Tänzerin im Kreis herum, und der Schweiß stand ihm auf der Stirne.
»Warum tanzt du nicht mit deinem Mann, Ildi?« fragte ich strenger, als mir anstand, »und warum lässt du deinen Mann mit einer andern tanzen?«
»Der Bräutigam muss mit jeder tanzen und die Braut mit jedem.«
»Aber nicht mit mir«, gab ich zur Antwort und ließ sie stehn.
Ich ging über den Hof. Es war dunkel, der Himmel wolkenverdeckt. Ich setzte mich auf eine Bank und wusste nichts mit mir anzufangen. Da hörte ich im Kuhstall eine Magd singen.
»Édes apám öreg ember
most házasodik;
összerveri a csizmáját
úgy figurázik.«
(»Mein Vater ist ein alter Mann
und heiratet doch heut.
Er knallt die Stiefel, dass es kracht
und tanzt wie nicht gescheit.«)
Am liebsten wäre ich in den Kuhstall gelaufen und hätte die Magd geohrfeigt. Aber hätte das etwas an der Tatsache ändern können, dass ich mich meines Vaters schämte?
Eine Woche nach der Hochzeit starb der Großvater. Wir begruben ihn auf dem Gottesacker des Kirchdorfes, wo die Kövárys ihre Familiengruft haben und seine Frau schon seit so langer Zeit auf ihn wartete. Ildikó stand, ganz in Schwarz gehüllt, neben meinem Vater und schluchzte. Ich führte Trézsi-Néni am Arm, deren Tränen ebenso reichlich flössen. Selbst der Vater wischte sich die Augen. Und nur die meinen blieben trocken. Bis ich plötzlich meine Mutter vor mir sah und Gurams Stimme hörte: »Ihre Tränen fallen nach innen, wo sie niemals trocknen.« Da erfasste mich eine unbeschreibliche Beklemmung. Aufschreien hätte ich können vor Angst, weil ich mit einem Mal verstand, was meine Mutter in den Tod getrieben hatte: dieses Herzweh nach dem, was ihr entrissen worden war und das sie so lange nicht verloren geben konnte, bis sie sich selbst verlor. Und ich biss mir auf die Lippen und schwor mir, dass mir das nicht geschehen dürfe. Und hatte doch damals noch keine Ahnung, wie es zu verhindern wäre, denn es ist ein langer Weg, bis wir zu der Erkenntnis kommen, dass wir dankbar sein müssen für jede Enttäuschung, weil sie eine Enttäuschung ist, die uns der Wahrheit um ein Stück näher rückt, bis wir dorthin finden, wo keine Täuschung mehr möglich ist, dorthin, wohin alle Unruhe des Herzens mündet wie die Ströme ins Meer.
Es dauerte keine weitere Woche, bis sich mein Schicksal entschied. Denn der Trézsi-Néni lag eine Frage schon längst auf der Zunge, die sie jedoch wohlweislich unterdrückt hatte, solange Ildikó mit meinem Vater nicht getraut und ihr Recht auf eheliche Liebe, Fürsorge und Versorgung nicht verbrieft und besiegelt war. Nun aber, da alles seine Richtigkeit hatte und mein Vater auch rechtmäßiger und alleiniger Besitzer von Kövár geworden war, konnte sie sich nicht mehr zurückhalten.
Wir saßen beim Mittagessen, Suppe und Braten waren verzehrt, der Nachtisch ließ noch etwas auf sich warten, da fing sie an:
»Ist nun Gyurkas Mutter auch eine Christin gewesen?«
Und ob! Wahrscheinlich eine bessere als du! wollte ich ihr ins Gesicht schreien, aber meine Wohlerzogenheit ließ es nicht zu, und mein Vater zögerte auch nicht mit der Antwort.
»Sie war eine Georgierin. Und
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