Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
Hand und sagte: »Ich werde sie ihr zurücktragen. Sie wird sie vermissen.«
»Sie hat sie mir selbst gegeben«, erwiderte ich.
»Ei, sieh da!« Er musterte mich von oben bis unten. »Sie ist ein gutes Kind – und du bist ein braver Bursche. Nach deiner Promotion sprechen wir ein ernstes Wort miteinander.« Die Zukunft lag also vor mir wie ein Land, das von der Sonne gestreichelt wird.
Der Dekan empfing mich sehr freundlich. »Man hört nur Gutes über dich«, sagte er. »Ich würde dir den Prüfungstermin am liebsten schon in allernächster Zeit anberaumen. Aber es fehlt noch eine Kleinigkeit. Nur eine Formsache. Eigentlich hätte man dich schon bei der Immatrikulation darauf aufmerksam machen müssen, hat es da aber übersehen.
Sieh, hier auf deinem Zeugnis steht ›Georgius Covarus, Sohn des Stefanus Covarus‹! Es müsste aber stehen: ›Georgius Covarus, ehelicher Sohn des Stefanus Covarus und seiner Ehegattin …‹ und dann der Name deiner Mutter. Du musst das nachtragen lassen oder eine andere Urkunde bringen, aus der deine eheliche Geburt ersichtlich ist …«
Mir wurde schwarz vor Augen, und ich stand da wie ein von der Hand Gottes Geschlagener.
Der Dekan sah meine Bestürzung, deutete sie aber falsch. »Es kann doch höchstens zwei Monate dauern, bis du deine Papiere hast«, sagte er. »Jetzt ist Frühjahr, die schönste Zeit zum Reisen. Wenn ich du wäre, sattelte ich morgen mein Pferd. Wie lange warst du nicht zu Hause? Wie – seit du hier bist? Wie werden sich da deine Angehörigen freuen, dich wiederzusehen!«
Während er sprach, hatte ich meine Fassung wiedergewonnen. »Ich danke Eurer Spektabilität«, sagte ich, »ja, ich werde mein Pferd satteln.«
»Nun dann«, meinte er mit wohlwollendem Lächeln, »machen wir den Termin doch schon fest. Im Sommer sind Ferien. Aber sagen wir am zwölften Oktober dieses Jahres ist dir das recht?«
Ich nickte mit dem Kopf. Das »Ja« blieb mir in der Kehle stecken.
Und ich sattelte wirklich mein Pferd. Doch lenkte ich es nicht nach Osten, sondern nach Westen. Ich ritt nach Bologna. Zu Hans Trautenberger. Vielleicht wusste er mir einen Rat.
Als Hans mich vor sich sah, flog die Freude über sein Gesicht, aber dann überschattete es sich, und er fragte:
»Gyurka, meine Seele, wie siehst du aus?«
Ich berichtete ihm, was vorgefallen war, und da er meine Lage kannte, war ihm sofort klar, in welcher Not ich mich befand.
Wie um mich zu trösten, sagte er: »Da hast du ja noch Glück gehabt, dass die nicht schon vor sechs Jahren daraufgekommen sind.«
»Ein schönes Glück!« So zornig war ich über seine Worte, als ob sie die Schuld an meinem ganzen Unglück trügen. »Was fang ich nun an mit all der Weisheit, die ich in Padua mit Löffeln gefressen habe?«
Der Freund erwiderte nichts auf diesen meinen Ausbruch, sah mich nur traurig an. Da senkte ich den Kopf, um ihm die Tränen nicht zu zeigen, die mir in die Augen geschossen waren. Schließlich sagte ich leise:
»Hilf mir, Hans. Es muss einen Ausweg geben! Es ist doch nicht möglich, dass man in der Christenheit nur nach dem äußeren Schein fragt, nur nach der toten Form! Dass es keine
Instanz gibt, die, wenn das Recht gegen die Billigkeit steht, nach der Billigkeit entscheiden kann. War denn meine Mutter eine Hure? War denn mein Vater ein Lotter? Und selbst wenn, was könnte ich dafür, sag, Hans, was könnte ich dafür?«
»Beruhige dich, mein Lieber. Verliere den Mut nicht. Es gibt eine Stelle, an die du dich wenden kannst und die die Macht hat, aus der Billigkeit Recht werden zu lassen. Nach Rom musst du gehn. An den Papst eine Bittschrift richten. Aber verlass dich nicht allzu sehr auf die Billigkeit. Nimm dir einen guten Advokaten! Wenn es dir an Geld fehlt, kann ich dir gerne aushelfen. Ich habe Kredit genug, um dir jede Summe beschaffen zu können, die du benötigst.«
Nein, an Geld fehlte es mir nicht.
Rom! Stadt der Cäsaren, der Apostel, der Märtyrer, der Päpste! Rom! Wer denkt bei diesem Namen nicht an die Kolossalbauten der Cäsaren, an die Gräber der Märtyrerapostel, an die Dome, die die Päpste über ihren Gräbern haben errichten lassen – denkt nicht an Macht und Größe und Herrlichkeit? Zwar war manches mir zu Ohren gedrungen über Verwahrlosung und Verwüstungen in dieser Stadt. Doch der Schatten, den sie einst über Länder und Meere geworfen hatte, wirkte immer noch so stark auf meine Fantasie, dass ihr Zauber nicht gebrochen werden konnte, bis … ja bis ich selbst
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