Schatten ueber Broughton House
einen Moment länger als nötig.
„Ich habe Ihrem Bruder niemals etwas angetan“, stellte er mit unerwartetem Nachdruck fest. „Und ich werde alles unternehmen, um es Ihnen zu beweisen.“
Verwundert sah Megan ihn an. „Ich weiß.“
„Ja? Ich war mir nicht sicher.“
„Doch“, erwiderte Megan ruhig. „Dessen bin ich mir gewiss.“ Er wandte seinen Blick nicht von ihr. „Und sollte Coffey es gewesen sein, wird er dafür bezahlen, das schwöre ich Ihnen.“ Dann nahm er sie beim Arm und führte sie ins Haus.
In dieser Nacht hatte Megan einen Traum.
Sie befand sich in einer riesigen Höhle, die von Fackeln erleuchtet wurde, die an den rauen Felswänden in eisernen Fassungen steckten. Der Feuerschein flackerte auf den feucht schimmernden Felsen, doch wenn sie hinaufsah zu der sich hoch über ihr wölbenden Decke, reichte das Licht kaum hinauf zu dem glimmernden Gestein, das förmlich auf sie herabzutropfen schien.
In der Mitte der Höhle sah sie einen gewaltigen Stein, der oben so flach war, dass er fast wie ein Tisch aussah. Darauf lag ein Mann. Ein weißes Tuch bedeckte ihm Bauch und Beine, ließ jedoch seine Brust frei. Sein dichtes schwarzes Haar mochte ihm wohl bis zu den Schultern reichen, war ihm nun jedoch aus der Stirn gestrichen und lag um seinen Kopf herum auf den grauen Fels gebreitet.
Seine Augen waren geschlossen, sodass Megan nicht sehen konnte, welche Farbe sie hatten. Aber seine schönen Gesichtszüge sah sie ... die volle Unterlippe und die hohen Wangenknochen, das markante Kinn und die klassisch gerade Nase, die schwarzen Brauen und die langen dunklen Wimpern. Seine Haut war von der Sonne gebräunt und von Fieberhitze gerötet, feucht von Schweiß glänzte sie im schwachen Lichtschein.
Neben ihm stand eine zierliche Frau mit einem fein geschnittenen Gesicht, samtig braunen Augen und dichtem schwarzen Haar, das ihr lang und glatt den Rücken hinabfiel. Sie trug ein schlichtes weißes Gewand, das um die Taille mit einem Gürtel aus dünnen Goldplättchen geschnürt war. Um die Stirn hatte sie einen breiten Goldreif, an dem hinten ein kleiner Fächer aus Federn steckte, lange Schweife in leuchtendem Rot, Blau, Gelb und Grün. Ihren Oberarm schmückte ein goldener Reif in Form einer Schlange.
Die Frau streckte beide Arme über dem Mann auf dem Steinblock aus, die Handflächen nach oben gekehrt, die Augen geschlossen und das Gesicht emporgewandt. Sie sang etwas in einer fremden Sprache, die Megan nicht verstand. Vor sich hatte sie eine Schale mit einem Tuch und einen goldenen Kelch neben den Mann auf den Tisch gestellt. Zu beiden Enden des Tisches standen Schalen, in denen Harze verbrannt wurden, deren aromatischer Rauch langsam zur Decke emporstieg und die Luft mit Wohlgeruch erfüllte.
Megan betrachtete die Szene, als würde sie über dem Mann und der Frau schweben. Fasziniert sah sie zu, wie die Frau nun ihren fremdartigen Gesang beendete, stattdessen das Tuch in die Schale tunkte und dem Mann den Schweiß von Gesicht und Brust wischte. Er regte sich, murmelte etwas und hustete dann so fürchterlich, dass es ihn am ganzen Körper schüttelte.
Die Frau schob ihre Hand unter seinen Hals, hob seinen Kopf leicht an und führte den Kelch an seine Lippen. Nachdem der Mann ein wenig getrunken hatte, ließ sie seinen Kopf sanft wieder auf den Stein hinab. Sie nahm seine Hand, legte etwas auf die Handfläche und schloss seine Finger darum. Dann senkte sie ihren Kopf und bewegte die Lippen, als spreche sie ein Gebet oder eine Beschwörung.
Wie aus großer Höhe schwebte Megan herab, unwiderstehlich von dem Mann angezogen, bis ihre Füße den felsigen Boden berührten. Als sie den kalten Stein unter sich spürte, wurde ihr bewusst, dass sie barfuß war. Sie sah an sich hinunter und stellte fest, dass sie eines ihrer Nachthemden trug, ein schlichtes weißes Baumwollhemd mit rundem Ausschnitt und einer Rüschenreihe über der Brust. Es kümmerte sie nicht, dass sie die kalte Luft in der Höhle auf ihrer bloßen Haut spürte.
Während Megan langsam näher kam, sah die Frau auf und schaute Megan unverwandt an. Dann lächelte sie, drehte sich um, verschwand in der Dunkelheit der Höhle und ließ Megan mit dem Mann allein.
Megan ging zu ihm. Der schwere Duft der Räucherharze drang ihr in die Nase, und der Rauch brannte ihr in den Augen. Der Mann bewegte sich unruhig und hustete erneut. Sein Gesicht war erhitzt, und sie hörte den Atem in seinen Lungen rasseln. Sanft berührte sie seine Stirn und
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