Schatten ueber Broughton House
ums Herz werden, was natürlich dumm war, denn eigentlich tat er das ja nicht, um sie zu beschützen. Er würde schon seine Gründe haben - sehr eigennützige Gründe, zweifellos.
Er könnte sie mit seinem Wissen über sie zu erpressen versuchen, indem er drohte, sie zu entlarven. Doch wozu sollte er sie erpressen? Wenn er wollte, dass sie sich ihm hingab, so hatte sie bereits bewiesen, wie verwerflich nah sie daran gewesen war, dies freiwillig zu tun. Zudem hatte Theo seit besagter Nacht keinen weiteren Annäherungsversuch mehr gemacht.
Er versuchte nicht, mit ihr allein zu sein. Seine Konversation und sein Betragen machten einem Gentleman alle Ehre - abgesehen von jenen Momenten, in denen Megan unvermittelt aufsah und kurz seinen Blick so verlangend auf sich ruhen sah, dass sie sich fragte, ob auch er an die Leidenschaft jener Nacht dachte.
Mühsam brachte sie die Woche hinter sich, grübelte über Theos Verhalten und seine Absichten und überlegte fieberhaft, wie sie abermals in sein Schlafzimmer gelangen könnte, um es gründlich zu durchsuchen. Diesmal würde sie allerdings sichergehen müssen, dass er sie nicht wieder überraschte, und so wollte sie warten, bis er einmal spätabends ausgegangen sei, wenn alle anderen schon schliefen - oder besser noch, wenn die ganze Familie des Abends außer Haus war.
Der Benefizball im Museum wäre dazu die perfekte Gelegenheit gewesen, dachte Megan, doch nun sollte sie diesen ja ebenfalls besuchen ...
Halbherzig hatte sie gehofft, dass Kyria und die anderen ihr Versprechen längst vergessen hätten. Diese Hoffnung wurde aber am Montagnachmittag zunichte gemacht, als Kyria, Olivia und Anna sie aus dem Schulzimmer entführten und hinunter in Annas Schlafgemach brachten, wo Kyrias Zofe schon eine Auswahl an Kleidern bereitgelegt hatte.
Mit großen Augen blickte Megan auf die prächtigen Ballkleider. „Mylady!“
Kyria strahlte vergnügt, und Olivia lächelte freundlich und aufmunternd. Anna wirkte hingegen etwas verhaltener. In ihren grauen Augen bemerkte Megan jenen Ausdruck, dunkel und gar ein wenig argwöhnisch, der ihr auch aufgefallen war, als sie ihr das erste Mal begegnet war. Reeds Gemahlin schien ihr nicht ganz zu trauen. Und wenn man bedachte, dass sie wohl Dinge sehen konnte, die andere nicht sahen ...
Megan wandte sich um und blickte abermals auf das Bett, wo eine wahre Pracht an Samt, Satin und Spitze bunt schimmernd wie Juwelen ausgebreitet lag. Weitere Kleider häuften sich auf Sesseln, Stühlen und Tischen.
„Das sind viel zu viele“, meinte sie abwehrend.
„Unsinn“, erwiderte Kyria. „Und nun lassen Sie sich mal ansehen. Joan ..."
Kyrias Zofe hielt Megan ein Kleid nach dem anderen an und beriet sich dabei eifrig mit Kyria und Anna. Auf die goldenen, grünen und blauen Kleider folgten dunkelrote, schokoladenbraune und hellgelbe.
„Olivias Farben stehen Ihnen am besten“, befand Kyria. „Wenn Liwy bloß nicht einen so schlichten Geschmack hätte!“
„Nicht schlicht“, wehrte sich Olivia. „Ich mag nur all diese verrüschten Verzierungen nicht.“
„Schlichte Eleganz“, befand Anna versöhnlich. „Aber es stimmt, dass die Farben, die mir stehen, bei Megan nicht ganz so gut aussehen, wenngleich wir uns von der Figur her am ähnlichsten sind. Mir gefällt ja das rotbraune Satinkleid besonders gut“, fuhr sie fort und hielt Megan eines von Olivias Kleidern an.
Anna mag argwöhnisch sein, dachte Megan, doch sie ist keineswegs abgeneigt, mir zu helfen. Vielleicht war sie ja nur etwas zurückhaltender als die anderen. Oder aber sie wartete darauf dass Megan einen Fehler machte.
„Die Färbe steht ihr hervorragend“, stimmte Kyria zu. „Probieren Sie es doch mal an, Megan, dann kann Joan sehen, wo etwas geändert werden muss.“
Megan musste sich nicht lange bitten lassen, denn es war ein ausgesprochen schönes Kleid aus schwerem schimmerndem Satin, dessen tiefrostroter Ton wunderbar zu ihrem rotbraunen Haar passte und ihrem hellen Teint schmeichelte. Die ganze Zeit schon hatte sie ein Auge darauf geworfen. Der tiefe Ausschnitt ging an den Schultern mit einem leichten Schwung in kurze Puffärmelchen über, und ein Spitzenbesatz ließ das Dekollete nicht gar so gewagt erscheinen.
Allerdings war Olivia etwas schlanker als sie, und Megan musste tief einatmen und die Luft anhalten, damit Joan die rückwärtigen Verschlüsse einhaken konnte.
„Oh!“, rief Kyria aus. „Ganz vorzüglich.“
„Ich bekomme fast keine Luft“, gestand
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