Schatten über Oxford
kann.«
»Hört sich vielversprechend an.«
»Die Sache gefällt mir richtig gut«, erklärte Elspeth. »Manchmal denke ich, dass ich selbst gern geschrieben hätte.«
»Sagen Sie das nicht«, wandte Kate ein. »Sie glauben gar nicht, was es manchmal für eine Quälerei ist. Im Augenblick erleben Sie gerade den interessanteren Teil – sich die Erinnerung anderer Leute zunutze machen und Pläne schmieden.«
»Ich stelle es mir toll vor, an einer alten Schreibmaschine zu sitzen, jungfräulich weißes Papier einzuspannen und zuzusehen, wie sich Wort für Wort das Blatt füllt. Meine Hände schweben über der Tastatur, mit einem Mal kommt die Inspiration, und ich schreibe Zeile um Zeile flüssige, fesselnde Prosa. Oder schreiben Sie mit der Hand?«
»Nur die ersten Notizen. Wenn ich dann die erste Fassung entwerfe, sitze ich an meinem Computer im Arbeitszimmer und muss zusehen, wie sich die Worte mühsam über den Bildschirm quälen. Sehr mühsam manchmal. Es kann auch sein, dass sie völlig versiegen und dass es dann viele Stunden so bleibt. Meistens gehe ich dann ein paar Seiten zurück, lösche die Hälfte und fange noch mal von vorn an.«
»Ich finde, meine Version hört sich deutlich netter an«, stellte Elspeth fest. »Wenn ich eines Tages die Zeit dazu finde, versuche ich es.«
»Hm«, machte Kate und versuchte, nicht allzu skeptisch zu klingen. Zumindest versuchte Elspeth nicht, ihr darzulegen, dass eigentlich jeder Mensch den Stoff für einen Roman in sich trug.
»Eigentlich trägt jeder Mensch den Stoff für einen Roman in sich«, fuhr Elspeth fort. »Wenigstens hört man das oft.«
»Fallen Ihnen vielleicht noch weitere Kontaktpersonen ein?«, erkundigte sich Kate fröhlich, ohne auf die letzte Bemerkung einzugehen.
»Sie könnten es bei der Schule versuchen. Ich weiß nicht, wie dort die Chancen stehen, aber einen Versuch ist es sicher wert.«
»Welche Schule?«
»St. Marks. Eine konfessionell gebundene Grundschule in der Bridgman Street.«
»Danke«, sagte Kate und schrieb sich die Adresse auf.
Vielleicht brauchte sie tatsächlich nicht in die Innenstadt zu gehen. Wie es aussah, lagen alle Schauplätze höchstens einen Steinwurf von der Cavendish Road entfernt.
»Ich habe den Eindruck, dass Sie noch nicht oft allein unterwegs gewesen sind, seit diese Sache passiert ist«, sagte Elspeth, als hätte sie Kates Gedanken gelesen. »Es ist sicher schwierig für Sie, mit den Ängsten fertig zu werden.«
»Na ja, ich habe mich tatsächlich noch nicht sehr oft vor die Haustür gewagt.«
»Ich muss heute Nachmittag in die Stadt. Hätten Sie nicht Lust, mich zu begleiten?«
Auf die Schnelle fiel Kate keine plausible Entschuldigung ein. »Vielen Dank. Das wäre wirklich wunderbar.« Wahrscheinlich war Elspeth sofort klar, dass sie nicht die Wahrheit sagte.
»Dann werde ich Sie so gegen zwei bei George abholen«, schlug die Pfarrerin vor.
Nachdem Elspeth eine derart genaue Zeit vorgegeben hatte, wurde Kate bewusst, dass sie sich nun nicht mehr herausreden konnte. Vermutlich bekam man als Pfarrer eine gewisse Übung darin, sich in Menschen einzufühlen und sie zu überzeugen, das zu tun, was man von ihnen wollte. Sicher denkt sie, dass es gut für mich ist, dachte Kate düster.
4
Es tat gut, wieder in den eigenen vier Wänden zu sein, geschützt vor der grellen Sonne, geschützt auch vor lauernden Blicken.
Kate blieb gerade noch genügend Zeit, sich ein Butterbrot zu machen, ehe Elspeth sie abholen wollte. Sie öffnete den Kühlschrank, um sich einen Überblick über den Inhalt zu verschaffen, als das Telefon klingelte. Das Butterbrot konnte sie also vergessen.
»Hallo?«
»Hier ist Roz. Du klingst irgendwie munterer als bei unserem letzten Gespräch.«
»Ich habe mich vor die Tür getraut«, berichtete Kate stolz. »Ich bin ganz allein bis zum Friedhof gegangen und habe die Pfarrerin kennen gelernt.«
»Du scheinst eine starke Anziehungskraft auf Angehörige dieser Berufgruppe auszuüben.«
»Meinst du wegen Tim Widdows? Das war doch wirklich halb so wild! Er hat mich bestimmt schon längst vergessen«, behauptete Kate leichthin und hoffte, dass es stimmte. Sie mochte nicht daran denken, dass dieses rosige Kindergesicht über dem Kollar immer noch vor Sehnsucht nach ihr blass werden könnte. »Außerdem ist es ja diesmal eine Frau. Sie heißt Elspeth.« Sie unterbrach sich. Lag vielleicht doch ein wahrer Kern in der Warnung ihrer Mutter? Im Pfarrhaus hatte sie keinerlei Anzeichen für die
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