Schatten über Oxford
nochmals herzlichen Dank.«
Unschlüssig blieb sie stehen und blickte die Straße entlang. Sie war menschenleer. Ein kleiner Hund hob das Bein an einem Torpfosten und kehrte anschließend in seinen eigenen Garten zurück. Doch man konnte nie wissen, was hinter den üppigen Büschen und den gepflegten Vorhängen der gediegenen Häuser lauerte.
»Ist wirklich alles in Ordnung?«, fragte Elspeth, die noch immer neben Kate stand. »Mir ist eben erst eingefallen, dass es sicher eine Qual für Sie sein muss, eine Kirche zu betreten.«
»Haben Sie von der Sache gelesen?«
»Hat das nicht jeder hier in Oxford?«
Wahrscheinlich hatte Elspeth Recht. Just in diesem Augenblick bewegten sich die Vorhänge. Kate war der Meinung gewesen, dass die schreckliche Erfahrung einzig in ihrer Erinnerung existierte, aber vermutlich hatten die Nachbarn wochenlang über nichts anderes geredet. Alles Leute, die Mitleid mit ihr hatten. Bei dem Gedanken schauderte Kate.
»Hätten Sie nicht Lust, auf einen Kaffee mit ins Pfarrhaus zu kommen? Es ist nicht weit.«
Kate wusste nicht recht, ob sie wirklich wollte, dass die Pfarrerin ihr seelsorgerisches Geschick an ihr erprobte, doch auf der anderen Seite hatte Elspeth den Nagel auf den Kopf getroffen. Kate fühlte sich tatsächlich ein wenig wackelig auf den Beinen und hatte, zumindest für die nächste halbe Stunde, nichts gegen nette Gesellschaft einzuwenden. Elspeth war fröhlich und bodenständig genug, um Ruths Schatten aus ihrem Kopf zu verbannen. Wenigstens vorläufig.
»Vielleicht kann ich Ihnen ein wenig bei Ihrer Recherchearbeit helfen«, meinte Elspeth und setzte sich in Bewegung. Nach etwa fünfzig Metern bogen sie links in eine schmalere Straße ab, wo die Häuser enger beieinanderstanden. Kate stellte fest, dass das knallige Blau des Trainingsanzugs durch die strahlend weißen Turnschuhe noch unterstrichen wurde. Außerdem erhaschte sie einen Blick auf die smaragdgrünen Socken ihrer neuen Bekanntschaft. Wirklich eine farbenfrohe Frau, diese Elspeth Fry!
Das Pfarrhaus war ein Bungalow, umgeben von einem verwilderten Garten. Der Rasen sah bemitleidenswert aus. Ein Sommerflieder wiegte seine violetten Blütendolden, umgeben von einem Glorienschein aus Kohlweißlingen. Kate konnte nur hoffen, dass die Pfarrerin nicht versuchte, ihr eigenes Gemüse anzubauen.
Innen sah der Bungalow aus, als wären Möbel und Tapeten nach möglichst neutralen Gesichtspunkten aussucht worden, um es jedem Geschmack recht zu machen. Das Resultat war beigefarben und deprimierend.
Elspeth und Kate setzten sich einander gegenüber auf hafermehlfarbene Sessel mit identischen orange-braun gemusterten Kissen.
»Kaffee?«, erkundigte sich Elspeth.
»Könnte ich vielleicht einen Tee haben?«, fragte Kate, die am Morgen bereits literweise starken Kaffee getrunken hatte, während sie sich dazu durchrang, das Haus zu verlassen.
Nachdem sie es sich mit ihrem Tee gemütlich gemacht hatten beschloss Kate, Elspeth ins Vertrauen zu ziehen. Die Pfarrerin wirkte zwar sympathisch und umgänglich, erwartete aber möglicherweise aufgrund ihres Berufes, dass Kate sie in jeden Winkel ihrer Seele blicken ließ. Das allerdings lehnte Kate rundweg ab.
»Ich trage mich mit dem Gedanken, meinen nächsten Roman in einer etwas moderneren als der für mich sonst üblichen Zeit anzusiedeln«, begann sie. »Meine Agentin drängt mich zwar, etwas Zeitgenössisches zu schreiben, aber das ist einfach nicht mein Ding.«
»Sie recherchieren gern, nicht wahr?«, fragte Elspeth.
»Auf jeden Fall fällt mir dieser Teil der Arbeit leichter, als letztlich die Geschichte zu schreiben.« Kate nickte. Dabei fiel ihr plötzlich ein, dass Bibliotheken bestimmt nicht sicherer waren als Kirchen. »Meine Wahl ist auf den Zweiten Weltkrieg gefallen«, fügte sie mit fester Stimme hinzu und verbannte die unangenehmen Gedanken.
»Aha, und an dieser Stelle kommt also Christopher Douglas Barnes ins Spiel.«
»Genau. Eigentlich hatte ich nicht geplant, über Kinder zu schreiben. Ehrlich gesagt habe ich wenig Erfahrung mit ihnen. Ich dachte eher an Lastwagen steuernde Frauen in schicken Uniformen und schneidige Spitfire-Piloten. Vielleicht hätte ich auch noch ein paar GIs in schnittigen Jeeps hinzugefügt. Doch dann stolperte ich über ein paar alte Schulhefte und Zeichnungen, die offenbar einem Kind in dem Haus gehörten, in dem ich zurzeit wohne.« Wenn sie der Pfarrerin von ihrem Verhältnis mit George erzählte, würde sie sich vielleicht eine
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