Schatten über Oxford
Anwesenheit eines männlichen Wesens entdecken können; außerdem war Elspeth sofort bereit gewesen, sie am Nachmittag nach Oxford zu begleiten. Aber nein – Elspeth wusste schließlich alles über sie und George.
»Ich habe über deinen Roman nachgedacht.«
»Ja?«
»Landarbeiterinnen, Flakhelferinnen, weibliche Mitglieder der britischen Marine – es gab eine Menge Frauen in der Armee. Sogar in Uniform. Du könntest doch über eine wunderschöne junge Frau schreiben, die zum Beispiel Lastwagen- oder Jeepfahrerin ist.«
»Hatte WRNS nicht etwas mit der Marine zu tun?«
»Kann schon sein.«
»Wir sind aber ziemlich weit vom Meer entfernt.«
»Mein Gott, bist du kleinlich!«
»Ich bin dir wirklich dankbar für deine Vorschläge. Aber ich muss mich erst einmal über viele Dinge kundig machen.«
»An deiner Stelle würde ich mir die Sache mit den Kindern aus dem Kopf schlagen«, fuhr Roz heiter fort. »Wer will denn heutzutage schon etwas über Kinder lesen?«
»Estelle bestimmt nicht. Und mein Verleger vermutlich auch nicht. Hm … Landarbeiterinnen … Flakhelferinnen … Uniformen … GIs … Du hast Recht.«
Irgendwann schaffte es Kate, das Gespräch zu beenden. Roz hatte sich wieder ausschweifend über die neuen Nachbarn ausgelassen, doch Kate verstand beim besten Willen nicht, was man gegen ein ruhiges Pensionärsehepaar einzuwenden haben konnte. Offenbar wurde ihre Mutter mit zunehmendem Alter ein wenig pingelig.
Schließlich blieb ihr doch noch Zeit für ein Butterbrot, um die Dose vom Speicher allerdings konnte sie sich nicht mehr kümmern. Die würde bis zum Abend oder nächsten Morgen warten müssen. Außerdem hatte Roz sicher Recht – Kate sollte sich lieber auf Erwachsene konzentrieren und die Sache mit den Kindern vergessen. Doch um sich an diesen Entschluss zu halten, musste sie sich besser im Griff haben, denn tatsächlich war sie auf dem Weg zum Speicher, als Elspeth klingelte.
»Bin schon fertig«, sagte Kate. »Ich bin fertig. Ich muss nur noch meine Handtasche und mein Notizbuch holen.«
Mit ihrer Begleiterin fiel es Kate erheblich leichter, die Straße hinunterzugehen. Die beiden Frauen stiegen in den Bus in die Innenstadt. Wenn man schwatzte, ging die Zeit viel schneller herum. Elspeth verließ Kate am Eingang zur Zentralbibliothek.
»Ich brauche ungefähr zwei Stunden«, sagte sie, ohne Kate näher zu erklären, was sie vorhatte. Obwohl es ihr schwerfiel, gelang es Kate, ihre Neugier zu zügeln. Schließlich konnte es durchaus sein, dass sie noch einmal auf Elspeth als Begleiterin angewiesen war.
»Sie finden mich oben im Centre for Oxfordshire Studies «,sagte Kate. »Und wenn Sie Wert darauf legen, den Bus zu erreichen, müssen Sie mich notfalls mit Gewalt hinauszerren.«
Sie stieg die Treppen hinauf, vorbei am großen Lesesaal. Zwar gab es auch einen Aufzug, doch Kate konnte sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, mit Fremden in einem derart winzigen Raum zusammengepfercht zu sein. Eigentlich hätte sie sich im ersten Stock Bücher über den Zweiten Weltkrieg ausleihen sollen, denn sie musste noch eine Menge Hausaufgaben machen, ehe sie mit den ersten Notizen für ihr neues Buch beginnen konnte. Doch weiter oben gab es Zeitungen und anderes Material, das sich mit Oxford und Umgebung beschäftigte. Auf dem Rückweg konnte sie immer noch ein oder zwei Bücher über den Krieg mitnehmen – möglichst nicht allzu anspruchsvolle, denn dafür fühlte sie sich noch nicht in der Lage. Oben angekommen ging sie selbstbewusst gleich zum Schalter durch und trug sich ins Besucherbuch ein.
Die Bibliothekarin warf einen Blick auf ihren Namen und das angegebene Arbeitsgebiet. »Ach, Sie schreiben doch diese …«
»Genau«, sagte Kate. Alles war besser, als diejenige zu sein, die in der Kathedrale beinahe ermordet worden wäre. »Könnte ich bitte die Zeitungen von 1945 einsehen?«
»Dazu müssen Sie ein Lesegerät buchen.«
»Mache ich doch gern.«
Die Frau zeigte sich großzügig. »In zehn Minuten wird eins frei. Macht ein Pfund für drei Stunden.«
Kate bezahlte und besorgte sich den Schlüssel zu einem Spind, in den sie ihre Jacke und ihre Tasche einschließen konnte. Auf die kleine, schicke Handtasche hatte sie wohlweislich verzichtet und war reumütig zu ihrem überdimensionierten Modell zurückgekehrt. Mit Notizbuch und Kugelschreiber bewaffnet nahm sie einige Minuten später vor dem Lesegerät Platz. Sie legte den Mikrofiche ein, schaltete das Gerät ein und fand sich um ein
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