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Schatten über Oxford

Titel: Schatten über Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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wirklich sehr hübsch«, sagte Kate, ehe ihr bewusst wurde, wie unangemessenen die Bemerkung erscheinen musste. Hastig wechselte sie das Thema. »Wissen Sie, ob während des Krieges Kinder in High Corner lebten?«
    »Evakuierte Kinder, ja. Sie kamen aus London. Kaum war der Krieg erklärt worden, kamen sie mit ihren Müttern nach Oxford, waren aber vor Weihnachten schon wieder zu Hause. Ein paar Monate später kamen sie auf der Flucht vor den Bomben zurück. Viele kehrten nach kurzer Zeit wieder heim, weil ihnen das Landleben nicht gefiel, wie sie sagten. Wir dagegen sagten, dass es ihnen nicht gefiel, endlich Seife und etwas Anständiges zu essen zu haben und unter vernünftigen Menschen zu sein. Im Sommer ’44 kam dann die nächste Welle auf der Flucht vor den V-Waffen.«
    »V-Waffen?« Kate merkte, dass ihr einiges an geschichtlichem Hintergrundwissen fehlte.
    »Fliegende Bomben. V1 und V2. Sie tauchten ganz plötzlich auf, als wir schon dachten, der Krieg wäre zu Ende. Zwar war für Hitler alles vorbei, nachdem die Amis mitmischten, aber trotzdem schickte er diese fiesen Bomben. Der ganze Südosten musste dran glauben, und natürlich London. Nördlicher und westlicher sind sie meines Wissens nie gekommen. Natürlich gab es evakuierte Kinder. Eigentlich wollte sie, dass Arthur und ich sie zu uns nehmen, aber in diesem einen Fall hat sich Arthur gewehrt. Er steckte ihr, dass wir nur zwei Schlafzimmer hätten und eins davon bereits von Danny benutzt wurde, während sie in ihrem Haus Platz satt hätte. ›Die Zimmer sind für Ausgebombte reserviert‹, sagte sie damals ziemlich affektiert. ›Gibt es hier nicht‹, meinte Arthur nur. ›Außerdem wird es höchste Zeit, dass Sie auch einmal etwas für andere tun.‹
    Wenn die beiden allein gewesen wären, hätte sie ihm vermutlich die Meinung gegeigt, aber die Frau, die für die Unterbringungen zuständig war, stand die ganze Zeit dabei. Naomi King. Sie hörte zu, und Miss Marlyn biss sich auf die Zunge und tat so, als wäre sie ganz glücklich, endlich auch etwas für Kriegsopfer tun zu können. ›Ich nehme ein Mädchen‹, erklärte sie Naomi, als würde sie ein Stück Käse bestellen. ›Sie werden zwei Kinder übernehmen‹, sagte Naomi, die es ebenfalls darauf anlegte, ihr Kontra zu geben. ›Wir wollen Geschwister möglichst nicht trennen, und ganz besonders solche nicht, die in London so viel Schreckliches mitgemacht haben.‹ Sie hat ihr wirklich Saures gegeben! ›Zwei Mädchen also!‹, sagte Miss Marlyn. ›Zwei Kinder‹, antwortete Miss King. Und sie hat sich durchgesetzt.«
    »Dann gab es also zwei evakuierte Kinder in High Corner?«
    »Einen Jungen und ein Mädchen. Miss Marlyn war absolut nicht einverstanden, aber ihr blieb keine Wahl. Die Kinder waren nicht übel, das kann man mit Fug und Recht behaupten. Sie stammten nicht aus der Gosse, hatten weder Läuse noch Flöhe und wussten, wie man eine Toilette benutzt. Wir hörten da manchmal schlimme Geschichten über aufgenommene Kinder. Die beiden Barnes-Kinder hatten in London eine schwere Zeit durchgemacht. Ihr Vater war im Krieg geblieben, die Mutter war todkrank. Die beiden Kleinen hatten ganz bleiche Gesichter, schwarze Ringe unter den Augen und sahen aus, als hätten sie monatelang nicht richtig geschlafen. Sie standen einfach nur da und klammerten sich aneinander fest, als wollten sie sich nie mehr loslassen. Das kleine Mädchen war eigentlich ganz nett gekleidet, aber man konnte genau sehen, wo die Tränen über ihr schmutziges Gesichtchen gelaufen waren und dass sie dringend ein sauberes Taschentuch brauchte. Sie hatten eine lange Reise hinter sich. Der Zug hatte vermutlich alle paar Kilometer angehalten, dann mussten sie noch in den Gemeindesaal und anschließend der Fußmarsch zur Armitage Road. Kleine Flüchtlinge eben.«
    »Christopher Barnes und seine Schwester.«
    »Ja, Chris und die kleine Susie. Woher wissen Sie das?«
    »Intensive Recherchenarbeit«, gab Kate selbstgefällig zurück.
    »So nennt man das also, wenn man dasitzt und dem Geschwätz anderer Leute lauscht?«
    »Ich habe auch Zeitungen gelesen«, verteidigte sich Kate. »Da stehen nur Lügen drin. Sie sollten nie glauben, was Sie dort lesen.«
    »In der Oxford Mail stand, dass Christopher Barnes von einem Lieferwagen angefahren wurde und ein paar Tage später im Krankenhaus starb«, berichtete Kate.
    Violet Watts erwiderte nichts. Ihr Schweigen dauerte so lang, dass Kate sich schließlich fragte, ob die alte Dame vielleicht

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