Schatten über Oxford
und erstickte sich mit den Auspuffgasen. Die ganze Zeit hat sie da im Dunkeln verbracht und ist im Benzingestank gestorben«, fügte Mrs Watts düster hinzu.
»Aber warum?«
»Sie wusste, dass der Unfall mindestens ebenso sehr ihre Schuld war wie die von Danny. Sie hat ihn dazu gebracht, sich selbst maßlos zu überschätzen, und ihm jede Menge Rosinen in den Kopf gesetzt. Mit Sicherheit waren sie am betreffenden Tag mit dem Wagen zu einer ihrer verrückten Abenteuertouren unterwegs.«
»Wollen Sie etwa behaupten, dass Elinor Marlyn und Danny gemeinsam zwielichtige Dinge unternahmen?«
»Glauben Sie mir etwa nicht? Nun, meine Liebe, es passieren viele Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen Leute wie Sie keine Ahnung haben.«
»Na ja, es hört sich einfach ziemlich unwahrscheinlich an«, wandte Kate ein wenig hilflos ein.
»Warum stellen Sie mir Fragen, wenn Sie mir die Antworten nicht abnehmen? Und wieso interessieren Sie sich überhaupt für die Marlyns?«
»Mein Interesse ist rein sachlich«, verteidigte sich Kate.
»Also warten Sie. Wie schon gesagt hinterließ Elinor Marlyn das Haus ihrer Nichte Sadie. Aber Sadie war keine Marlyn, sie war eine Dolby – auch eine dieser Familien, die sich für etwas Besseres hält. Sarah Marlyn und Robert Dolby gehörten eindeutig zu den oberen Zehntausend.«
»Ich glaube, jetzt habe ich den Faden verloren«, gestand Kate.
»Elinor Marlyns Schwester Sarah heiratete Robert Dolby. Er war ein Jahr lang Bürgermeister – das muss vor dem Krieg gewesen sein, irgendwann in den dreißiger Jahren – und später ein hohes Tier in der Handelskammer. Ein ziemlich extravagantes Paar. Nach dem Krieg ging es ihnen offenbar keinen Deut schlechter als vorher. Aber solchen Leuten geht es nie schlecht, ist Ihnen das schon mal aufgefallen? Ihr Sohn kaufte sich ein Riesenhaus am Rand von Headington Hill.« Dort wohnen heute Sam und Emma, dachte Kate. Davor hatte das Haus Sams Vater gehört. »Sie hatten noch eine Tochter namens Sadie. Sie ging zum Militär und wurde irgendwo in den Norden versetzt. Als Elinor starb und Sadie das Haus erbte, kam sie aus Manchester oder von wo auch immer zurück und brachte ihre Freundin mit. Eine Lehrerin.«
Violet Watts presste ihre Lippen zu einer dünnen Linie zusammen.
Na und?, dachte Kate. Trotzdem dürfte diese Verbindung in den vierziger Jahren in der Armitage Road für einige Unruhe gesorgt haben. In der Familie Dolby vermutlich ebenfalls. Doch darüber hatte George kein Wort verloren.
»Doch sie hat ihre wohlverdiente Strafe bekommen.« Mrs Watts war jetzt in die Gänge gekommen. Ihre blassblauen Augen funkelten lebhaft unter den wimpernlosen, rosa Lidern.
»Auf welche Weise?«, erkundigte sich Kate.
»Die andere Frau ist bestimmt davon ausgegangen, dass sie das Haus erben würde, da bin ich ganz sicher. Immerhin hatte sie über dreißig Jahre mit Sadie dort gelebt und muss der Überzeugung gewesen sein, dass sie für alle Zeiten ausgesorgt hätte. Zu ihrem Pech ist Sadie aber dann ziemlich plötzlich gestorben.«
»Wieder ein Unfall?«, fragte Kate.
»Man sagt, es war das Herz. Ich war immer schon der Meinung, dass Frauen mit sehr gesunder Gesichtsfarbe nicht besonders alt werden.« Mrs Watts klang, als wäre ihr eine unnatürliche Todesursache sehr viel lieber gewesen. »Und dann stand diese junge Frau …«, die so genannte junge Frau dürfte damals etwa zwischen fünfundfünfzig und sechzig gewesen sein, rechnete Kate nach, »… plötzlich auf der Straße. Sie muss ziemlich überrascht gewesen sein.«
»Armes Ding«, sagte Kate.
»Ich finde, es geschah ihr recht! So ein gottloser Lebenswandel!«, schimpfte Mrs Watts. »Außerdem hatte sie doch ihre Pension. Immerhin hat sie ihr Leben lang gearbeitet. Aber das Eigentum der Dolbys blieb ihr verwehrt. Da kommt niemand dran – merken Sie sich das, junge Frau.« Ein arthritischer Finger bohrte sich in Kates Knie. »Sie müssen es allein schaffen. Schreiben Sie weiter Ihre Bücher. Verlassen Sie sich nicht auf den Besitz der Dolbys. Er wird niemals außerhalb der Familie vererbt, ganz gleich, welche verrückten romantischen Launen die Familienmitglieder sich leisten.«
»Ich werde es mir merken«, sagte Kate, die sich selbst noch nie als romantische Laune gesehen hatte.
»Erinnern Sie sich an den Namen von Sadies Freundin? Oder wissen Sie vielleicht, wo sie später hinging?«
»Sie hieß Meg oder Madge – vielleicht von Marjorie. Ich habe mich nie näher mit ihr beschäftigt.
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