Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schatten über Oxford

Titel: Schatten über Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
Vom Netzwerk:
hast du deinen kleinsten Schraubenzieher?«, fragte Roz.
    »Unten in der Küchenschublade.«
    Schon kletterte Roz die Leiter hinunter und flitzte in die Küche. Kate stellte die Taschenlampe an ihren Platz zurück, knipste das Licht aus und folgte ihrer Mutter nach unten.
    »Das finde ich nicht fair«, brummelte sie. »Schließlich handelt es sich um mein Geheimnis.«
    Als Kate in der Küche ankam, drehte Roz bereits an der Holzkiste herum. »Ich bekomme die Schrauben nicht heraus«, schimpfte sie.
    »Ich hole Fahrradöl, wenn du versprichst, Georges Tisch nicht vollzukleckern«, sagte Kate.
    Sie träufelten Öl auf die verrosteten Schrauben, und Kate zwang Roz, geduldig zu warten, bis es anfing zu wirken.
    »Immer mit der Ruhe. Lass uns inzwischen einen Tee aufbrühen«, schlug sie vor. »Oder ist Tee in meiner Gesundheitsdiät verboten?«
    »Ich setze schon mal Wasser auf«, gab Roz statt einer Antwort zurück.
    Fünf Minuten später versuchten sie sich erneut an den Schrauben, und dieses Mal schafften sie es, das einfache Schloss zu entfernen, mit dem Christopher das Kästchen gesichert hatte. Falls es Christopher gehört hatte.
    »Was habe ich gesagt?«, triumphierte Roz, als sie den Deckel hob.
    »Als Kind habe ich mir immer so ein Taschenmesser gewünscht«, meinte Kate.
    »Und die Seife?«, fragte Roz.
    Sie sahen nichts, doch als sie an der Kiste schnupperten, stellten sie einen schwachen Nelkengeruch fest.
    »Nehmen wir es als Beweis, dass irgendwann in der Vergangenheit einmal Seife in dieser Kiste gewesen sein muss«, verkündete Roz.
    »Was ist denn das?«, fragte Kate und griff nach einem Knäuel aus dünnen weißen Metallstreifen.
    »Soviel ich weiß, warfen die Bomber diese Dinger ab, um die Radarüberwachung zu täuschen«, erwiderte Roz. »Christopher muss es aus London mitgebracht haben, denn hier in der Gegend gab es so etwas kaum.«
    »Und das hier?«
    »Ein Abzeichen von einer Uniformmütze. Vielleicht hat es seinem Vater gehört. Stand nicht bei Naomi, dass der Vater gefallen ist?«
    »Nur, dass er nie nach Hause zurückgekehrt ist. Vermutlich meinte sie, dass er tot war. Die armen Kleinen!«
    »Hier ist noch ein zusammengefaltetes Blatt Papier, wie sich das für ein ordentliches Geheimnis gehört«, sagte Roz, faltete das Blatt auseinander und las es. »Hässliche Bemerkungen über seine Lehrerin. Übrigens in korrekter Rechtschreibung. Heutzutage würden Kinder so etwas kaum noch in ihr Heft schreiben. Sie würden es sofort mit Sprühfarbe auf die Haustür der Lehrerin sprayen.«
    »Ist noch mehr da drin?«
    »Ein Brief«, sagte Roz.
    »Der stammt aber nicht von Christopher!«, stellte Kate fest. Der Brief war nicht mit haltbarem roten Stift, sondern mit der kratzigen Metallfeder eines Füllers und schwarzblauer Tinte auf blaues, liniertes Papier geschrieben.
    »Er ist von seiner Mutter. ›Ich hoffe, es geht Dir gut, pass bitte auf Deine Schwester auf. Uns beiden geht es gut und wir vermissen Euch sehr.‹«
    »Ich nehme an, sie bezieht sich da auf diesen Onkel Alan.«
    »Möglich. Aber vielleicht hat sie auch mit einer Schwester, einer Freundin, einem anderen Mann oder ihrer Mutter zusammengewohnt – wer weiß? Du weißt sehr wenig über diese Leute, Kate. Und du liest eine Menge zwischen den Zeilen.«
    »Aber genau darin liegt meine Stärke.«
    »Nur, solange du nicht Fantasie und Wirklichkeit miteinander verwechselst.«
    »Du siehst genau, wie krank sie ist«, fuhr Kate fort, ohne auf den Einwand ihrer Mutter zu achten. »Schau nur auf die Handschrift. Sie ist so zittrig wie die einer alten Frau.«
    »Auf den Fotos sah sie auch ziemlich krank aus.«
    »Wahrscheinlich lag sie im Sterben. Brenda Boston erwähnte, dass die Mutter vermutlich krank war. Sonst hätte sie doch sicher die Kinder nach London zurückgeholt, oder? Jedermann wusste doch, dass der Krieg fast vorüber war – in allen Büchern steht das.«
    »Welche Bücher?«
    »Das, in dem ich gelesen habe. Hör auf, immer so logisch zu sein. Es passt einfach nicht zu dir.«
    »Ich finde deine These recht überzeugend.«
    »Ich wünschte, wir könnten diesen Onkel finden. Allerdings habe ich nicht die geringste Lust, auf der Suche nach ihm durch die Straßen von Süd-London zu laufen. Genau genommen habe ich im Augenblick keine Lust, überhaupt durch irgendwelche Straßen zu laufen.«
    »Du könntest schreiben.«
    »Was?«
    »Einen Brief an die Reckitt Street 26 in SE15.«
    »Aber das alles ist fünfundfünfzig Jahre

Weitere Kostenlose Bücher