Schatten über Ulldart
Blick für die einfachen, schönen Dinge des Lebens trübt?«
Versuchshalber kratzte er an einer dunkelgelb schimmernden Säule und hatte ein Stückchen Goldpapier unterm Fingernagel.
»Bruder Matuc?«, sagte eine Stimme in seinem Rükken. Der Vorsteher fuhr herum und drehte unwillkürlich die Hand mit dem Blattgoldfetzen nach hinten. Vor ihm stand ein Mönch, der ihn mit kritischem Blick musterte. »Ich soll dich zum Geheimen Rat bringen. Bist du bereit?«
Matuc nickte. »Geh voraus, ich folge dir, Bruder.« Die beiden Männer stiegen etliche Treppen hinauf, durchquerten Korridore und Zimmer. Der Vorsteher war sich sicher, dass die Räume im Palast des Kabcar nicht weniger kostspielig ausgestattet sein konnten.
Schließlich endete der Marsch, bei dem sein Führer hartnäckig geschwiegen hatte, vor einer mächtigen Tür.
»Wir sind da, Bruder. Der Geheime Rat erwartet dich.« Der Mönch streckte die Hand aus. »Gib mir das Blattgold. Ich lasse es wieder an seinem Platz anbringen.«
Matuc wurde rot und legte den Krümel in die Handfläche des anderen. »Ich dachte, es sei Farbe. Ich hatte ja keine Ahnung, dass wir ein so reicher Orden sind.«
»Wir sind nicht reich, wir loben Ulldrael mit dem Glanz.« Sein Begleiter öffnete die Tür und machte eine einladende Geste. »Geh hinein, Bruder.«
Der Vorsteher ging ein paar Schritte hinein, der Eingang wurde hinter ihm geschlossen.
Dicke Brokatvorhänge schluckten den Großteil des Tageslichts, das nur sporadisch zwischen kleinen Ritzen in das abgedunkelte Zimmer fiel. Es roch intensiv nach Räucherwerk, dicke Schwaden zogen umher und wurden in den Lichtstrahlen als bizarre, nebelhafte Muster sichtbar.
In der Mitte des Raumes stand ein großer, langer Tisch, hinter dem neun betagte Männer in dunkelgelben Roben saßen, die den Besucher schweigend ansahen. Ein niedriger Hocker war vor dem Tisch platziert.
Matuc brauchte ein wenig Zeit, um sich an das Zwielicht zu gewöhnen. Der Rauch brannte in der Nase, ein leichter Schwindel erfasste ihn.
»Ulldrael dem Gerechten gebührt alle Ehre«, sagte der Mann in der Mitte.
»Und die Achtung aller Lebewesen«, vervollständigte der Vorsteher gewohnheitsgemäß den Gruß und formte mit den Händen die Kugel, als Symbol für die allumfassende Macht des Gottes.
»Wir haben uns lange nicht mehr gesehen, Bruder Matuc.« Der Sprecher erhob sich.
»Das letzte Mal vor vier Jahren, als ich zum Vorsteher des kleinen Hofes ernannt wurde, Oberer.« Matuc neigte leicht den Kopf. »Um so erfreuter bin ich, dass ich einmal mehr in den Genuss komme, einen Fuß in den Großtempel setzen zu können. Es ist immer wieder ein unwahrscheinliches Erlebnis für einen Gläubigen, der nur die Abgeschiedenheit kennt. Das viele Gold blendet einen, aber das Beten gelingt mit geschlossenen Augen ohnehin besser.«
Der Obere lachte leise. »Noch immer die scharfe Zunge, Bruder? Wir wollen nur Ulldrael den weisen Gerechten gebührend preisen und loben, wie es einer Gottheit zusteht.« Er deutete auf den Hocker vor dem Tisch. »Setz dich. Wir müssen dir ein paar Fragen stellen.«
Matuc kam der Aufforderung nach.
»Es geht um eine Angelegenheit, die viele Jahre zurückliegt«, begann der Obere. »Sie trug sich damals noch unter Tradja zu. Ich vermute, du ahnst, um was es geht?«
»Vermutlich um den Visionär Caradc, der uns die Warnung Ulldraels des Gerechten übermittelte«, schätzte der Vorsteher. »Tradja hat damals den Kabcar gewarnt und den Geheimen Rat von der Begebenheit in Kenntnis gesetzt.«
Der Obere nickte. »In Kenntnis gesetzt schon, nicht aber über den exakten Wortlaut der Botschaft. Er wollte ihn uns zukommen lassen, hat es aber die Jahre über versäumt. Unser Bibliothekar bemerkte das Fehlen.« Der Mann nahm wieder Platz. »Tradja hat damals gesagt, du warst derjenige, der die Worte des Visionärs gehört hat?«
»Ich bin der Einzige, der die Botschaft Ulldraels vernommen hat«, bestätigte Matuc.
»Wiederhole sie«, sagte der Mönch am linken Ende des Tisches herrisch.
»Bitte?« Der Vorsteher war verwirrt. Warum sollte er eine Botschaft wiederholen, die doch allgemein bekannt war? »Wiederhole sie, bitte«, befahl der Obere sanfter, stützte die Ellenbogen auf die Platte und lehnte sich vor.
»Ulldrael will, dass der Tadc vor Anschlägen …«, fing Matuc an, doch der Mönch an der rechten Seite unterbrach ihn.
»Nicht das, was du zusammengefasst hast, sondern das, was der Visionär wörtlich zu dir gesagt hat,
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