Schattenauge
Raupe und Schmetterling fiel mir ein. Zoë war verdammt nah am Fliegen!
Einen Augenblick redete ich mir vergeblich ein, dass ich mich täuschte und dass es doch eine Fremde war, aber dann wirbelte sie herum – fliegendes Haar! – und lächelte Irves auf diese unvergleichliche Zoë-Art an, die jede Verwechslung ausschloss. Die Vertrautheit zwischen ihnen nahm mir schlagartig die Luft und trieb mir die Galle in die Kehle. Irves und Zoë! Diese Erkenntnis fühlte sich fast so gut an wie angeschossen werden. Als hätte mein Blick ihre Haut versengt, zuckte Zoë zusammen, hörte auf zu tanzen und sah verwundert zu mir.
Dort stand tatsächlich Gil! Nur, dass sie ihn fast nicht erkannt hätte. Das war nicht mehr der Typ mit den zu weiten Jeans, der altmodischen Jacke und dem Gesicht eines Schlägers. Dieser Gil hier trug eine schmale, schwarze Lederjacke und Hosen, die betonten, wie drahtig er war. Das Haar war kürzer und hob seine klaren Gesichtszüge hervor. Ein Gesicht ohne Verletzungen, mit dunklem Teint und schwarzen Raubtieraugen. Auf eine herbe, widerspenstige Art war er beinahe schön. Das Dunkle umgab ihn wie eine glühende Aura. Die Musik wechselte in einen schnelleren Rhythmus, aber Zoë konnte nur dastehen und ihn ansehen.
Gil kniff die Lippen zusammen und setzte sich in Bewegung. Einen Augenblick kämpfte sie gegen den Impuls an zurückzuweichen.
»Weißt du, was du tust?«, fauchte er. »Warum zum Teufel bleibst du nicht weg von der Grenze?« Sein Tonfall war wie eine Ohrfeige. Ohne Vorwarnung packte er sie an den Schultern. »Willst du eine Bestie sein?«, brüllte er.
Irves war so schnell da, dass sie keine Bewegung sah.
»Wir sind Bestien«, zischte er Gil zu. »Und du kennst das Sprichwort: Besser ein Tiger, den man fürchtet, als ein Hund, den man liebt. Und jetzt lass sie verdammt noch mal los!«
Bevor Zoë wusste, was geschah, ließ Gil sie tatsächlich los und schnellte an ihr vorbei. Dann taumelte Irves unter einem Schlag zurück. »Ist das deine Version von ›Wir halten sie aus der Gefahrenzone‹?«, zischte Gil ihm zu.
Einen Moment lang starrten sie einander an, während die Umstehenden zurückwichen, einen Ring aus Leibern bildend. Dann lachte Irves. Seine Augen glühten im Stroboskoplicht auf, als er sich aufrichtete. Wie zwei Gladiatoren in der Arena , dachte Zoë entsetzt. Und Irves scheint ihn absichtlich herauszufordern.
»Ja, das ist meine Version«, sagte Irves. »So leben wir nun mal. Wir gehen raus und schärfen unsere Sinne. Wir verkriechen uns nicht wie ängstliche Kaninchen in unsere Höhlen. Es sei denn, man heißt French und hat Angst, die Bremse rauszunehmen.«
Gil schrie auf und schnellte los. Dann war die Schlägerei mitten auf der Tanzfläche in vollem Gang. Jemand rannte zum Ausgang, um die Türsteher zu holen. Zoë stand da wie betäubt. Bassvibrationen schüttelten sie durch und die aufgepeitschte Stimmung umbrandete sie wie Sturmwellen und drohte sie umzureißen. Der plötzliche Schweiß- und Panikgeruch aus den Reihen der Leute machte sie aggressiv. Es war zu viel. Sie drehte sich um und bahnte sich mit den Ellenbogen einen Weg nach draußen.
Während sie den Security-Mann, der versuchte hatte dazwischenzugehen, noch vom Boden aufsammelten, war ich längst schon auf dem Weg hinaus. Mein Blut kochte und ich wollte nur noch nach Hause. Mochte der Teufel wissen, wo Irves abgeblieben war, nachdem er mit seinem Rücken den Rand der Glastheke demoliert hatte. Zumindest daran erinnerte ich mich. Und auch daran, dass Zoë ganz plötzlich nach draußen gestürmt war. Der Gedanke an sie gab mir einen Stich. Ich sah ihr fassungsloses, empörtes Gesicht nahe der Tanzfläche und fühlte mich auf der Stelle noch elender. Toller Auftritt , dachte ich bitter. Und du predigst ihr, dass sie den Schatten nicht in ihre Nähe lassen soll! Jetzt hast du alles versaut, Gil. Es fühlte sich nach Verlust und nach Niederlage gleichermaßen an. Die Tatsache, dass ich mir eingestehen musste, dass es mich nicht nur störte, sie mit Irves zu sehen, sondern mich komplett fertigmachte, konnte die Sache nicht verbessern. Verdammt, wie hatte ich mir nur so lange einreden können, es wäre nur Sorge, die ich für sie empfand!
Die Nachtluft war kühl genug, um mich wieder einigermaßen auf den Boden zu bringen. Aber je länger ich lief, desto niedergeschlagener wurde ich. Als ich in meine Straße einbog und auf den Durchgang zum Innenhof zusteuerte, war von meiner Wut
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