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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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nicht mehr viel geblieben. Mit hängenden Schultern schlurfte ich in den Innenhof. Doch beim Blick auf die Tür richtete ich mich sofort wieder auf.
    Etwas war anders. Im Schatten der Tür zeichnete sich der Umriss einer sitzenden Gestalt ab. Im allerersten Moment dachte ich an Irves – Loungegeruch nach den Kunststoffdämpfen der Plastiktische stieg mir in die Nas e –, aber dann erkannte ich die Person. Außer Irves der letzte Mensch auf dieser Welt, den ich jetzt sehen wollte. Ich hätte einiges dafür gegeben, mich einfach wegbeamen zu können, aber es war zu spät. Natürlich hatte sie mich längst bemerkt, der Wind stand für sie günstiger als für mich. Langsam stand sie auf und klopfte sich den Staub von der Hose. »Hi«, sagte sie. »Das war ja wirklich zirkusreif. Wenn du deine Freunde so behandelst, dann will ich nicht dein Feind sein.«
    Ich ärgerte mich darüber, dass ich rot wurde. »Bei uns gibt es keine Freundschaften«, erwiderte ich grob. »Täusch dich nicht.«
    »Auch nicht zwischen uns?«, fragte sie leise. »Immerhin hast du mich von der Brücke geholt. Ohne dich wäre ich abgestürzt. Warum hast du das getan?«
    In diesem Augenblick lernte ich etwas Neues über Gil: Er war verdammt feige.
    »Wie kommst du so schnell hierher?«, fragte ich ausweichend. Tolle Frage, sehr intelligent!
    Sie zuckte mit den Schultern. »Taxi«, meinte sie trocken. »Nicht, dass ich es mir leisten könnte«, fügte sie ironisch hinzu. »Und Irves hat mir gesagt, wo du wohnst. Im Gegensatz zu dir macht er nämlich nicht um alles und jedes ein Geheimnis.«
    Irves. Schon die Erinnerung an die Nähe zwischen den beiden gab mir den Rest.
    »Eifersüchtig?«, fragte sie. In dieser Situation wurde mir endgültig bewusst, dass sie dem Schatten bereits näher war, als ich angenommen hatte. Sie nutzte ihre Sinne ganz selbstverständlich. Irves war offenbar ein guter Lehrer (noch ein Grund, warum ich ihm am liebsten wieder ins Gesicht gesprungen wäre). Und Zoës Antennen waren nun direkt auf mich ausgerichtet.
    »Denk, was du willst«, knurrte ich. »Ich habe einfach nur versucht, es dir leichter zu machen und dich zu beschützen. Jetzt ist offenbar Irves dran. Viel Glück!«
    Sie verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. Dennoch vibrierte Ärger in der Luft. »So wie in einem alten Indiana-Jones-Film? Eine schwache Frau, die in der Ecke steht und kreischt, während die Helden sie tapfer vor den Bösen beschützen – falls sie sich nicht gerade um sie prügeln? Siehst du mich so, Gil? Ist das alles, was uns verbindet?« Die Enttäuschung in ihrem Tonfall brachte mich noch mehr durcheinander als ihre bloße Gegenwart. Es gab viele Möglichkeiten, um meine Nervosität zu verbergen. Eine davon war, besonders hart gegen den Briefkasten zu schlagen, um die Verankerung auszuhebeln. Zoë zuckte bei dem Geschepper zusammen, aber sie blieb stehen und sah mir ruhig dabei zu, wie ich den Schlüssel aus der Mauerritze holte. Tja, und ab diesem Zeitpunkt hörte das Drehbuch bei mir auf. Sollte ich einfach an ihr vorbeigehen und sie hier draußen stehen lassen? Auf der einen Seite hätte ich sie am liebsten zum Teufel gejagt. Aber andererseit s …
    »Was ist?«, fragte sie. »Bleiben wir jetzt hier stehen oder gehen wir in deine Wohnung?« Sie schluckte und fügte hinzu: »Können wir nicht einfach mal in Ruhe miteinander reden, ohne dass du irgendjemanden anfällst, mir ausweichst oder mich zum Teufel jagst?«
    Vielleicht war es die Tatsache, dass sie ohnehin schon zu viel von meinem Schatten gesehen hatte. Es spielte keine Rolle mehr, wofür sie mich hielt. Das Spiel war gelaufen. Ich überlegte, wie lange es her war, dass ich jemanden durch meine Haustür gebeten hatte. Und kam zu dem Ergebnis, dass es tatsächlich eine Premiere war. »Fünfter Stock«, murmelte ich.
    Bisher hatte ich immer gedacht, dass das Haus ganz passabel aussah. Aber jetzt kam es mir wirklich schäbig vor. Die Treppe knarrte unter unseren Schritten, und als ich das Licht in meiner Wohnung einschaltete, das ich sonst nie benutzte, fiel mir ein, dass es unnötig war, da Zoë ja im Dunkeln genauso gut sah wie ich. Zoë trat so vorsichtig in mein Zimmer, als sei es ein verbotener Ort, und blickte sich um. Viel zu sehen gab es nicht. Eine winzige Dachkammer mit schrägen Wänden. So gut wie leer. Ein Regal mit Kleidung, ein Bett und die unbenutzte Küchenzeile. Nur der Kühlschrank brummte vor sich hin. Dazu offene Fenster. Papier raschelte: Meine

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