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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Ausweis sehen will, wenn du ihm die Miete bar auf die Hand gibst. Ich hatte sogar doppeltes Glück: Weil die Vermieterin mich mochte, hatte ich die winzige Wohnung unter dem Dach bekommen. Vom Dach aus konnte ich über das große Autohaus hinweg zu den Hochhäusern am Fluss schauen. Ich musste von der U-Bahn nicht besonders weit laufen, dennoch war ich so am Ende, dass meine Gedanken sich bereits mit den Vorläufern von Traumbildern vermischten.
    In dieser Gegend war der St. Patrick’s Day nicht angekommen. Keine grünen Flaggen und Bänder, keine Musik schallte aus den Fenstern. Im Laufen holte ich das fremde Handy hervor und gab Gizmos Standardcode ein. Ein greller Startton erklang. Mit gesenktem Kopf schleppte ich mich in den mit Taubendreck gepflasterten Innenhof, der nicht größer als eine Briefmarke war, und hinkte zu den Postkästen. Die Schrauben an der Halterung meines Postkastens waren so locker, dass es einfach war, ihn mit einem bestimmten Dreh an der Seite auszuhebeln. In dem kleinen Hohlraum in der Mauer, wo ich den Mörtel entfernt hatte, lag mein Schlüssel. Ich hatte ihn nie bei mir. Doch allmählich sollte ich mir angewöhnen, in der Stadt auch hier und da etwas Geld zu hinterlegen.
    Mit dem Schlüssel in der Hand lehnte ich mich stöhnend an die Hauswand und hob das Handy vor meine verschwollenen Augen. Die wichtigen Nummern hatte ich im Kopf, schwierig war nur das Eintippen. Ich versuchte, dabei nicht auf meine Fingernägel zu schauen.
    »Herr Choi«, meldete sich die strenge Stimme. Ich hatte keine Ahnung, wie mein Chef mit Vornamen hieß. Sogar wenn er sich ganz offiziell vorstellte, sagte er nur: »Ich bin Herr Choi aus Pusan.« Als gäbe es in jeder koreanischen Stadt nur einen Mann mit diesem Namen und jeder müsste ausrufen: Ach, Sie sind das!
    »Herr Choi, Gil hie r …«
    Weiter kam ich nicht. Eine Welle von Verwünschungen brach über mich herein, die sich allesamt mit meinem fragwürdigen Charakter und meiner düsteren Zukunft als drogensüchtiger Arbeitsloser auf der Müllkippe hinter der Stadt befassten. (In seiner Vorstellung war jeder unter zwanzig drogensüchtig.) Herr Choi beherrschte es, auch vom Tonfall her gemein zu klingen. Und die Lautstärke, mit der er ins Telefon bellte, gab mir den Rest. Ich musste das Telefon von mir weghalten, um den wild pochenden Kopfschmerz zu ertragen.
    »Ich bin zusammengeschlagen worden«, erklärte ich, sobald Choi doch einmal Luft holte. Endlich stutzte er. Die Sekunde Pause war unendlich wohltuend.
    »Von der Polizei?«, kam dann die misstrauische Frage.
    Fast hätte ich gelacht. Für Choi war immer ganz klar, wer auf der dunklen Seite der Macht stand.
    »Nei n … ein paar Betrunkene.«
    »Du hast sie provoziert, ja?«
    »Nein, Herr Choi! Ich war einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Es war Pech. Ich hätte Sie heute Morgen angerufen, aber ich war bewusstlos und die Typen haben mir mein Handy geklaut.«
    Eine Pause, lang genug, um in aller Ruhe eine Münze zu werfen. Vermutlich tat er genau das. Schmeiße ich ihn raus oder nicht? Vielleicht kontrollierte er auch nur auf der Rufnummernanzeige, ob es wirklich eine andere Handynummer war. Ich schluckte und wartete angespannt. Im Geiste sah ich mich schon nach der nächsten Arbeit suchen.
    »Und wann bist du wach genug, um wieder zu arbeiten?«, keifte er so plötzlich in mein Ohr, dass ich zurückzuckte. Vielleicht hatte auch meine verwaschene Aussprache ihn überzeugt, dass ich die Wahrheit sagte. Fast die Wahrheit.
    »Mitte der Woch e … hoffe ich jedenfalls«, nuschelte ich. Am Eingang zum Innenhof ging eine Frau vorbei. Das betäubend schwere Lavendelparfüm hätte ich auch zehn Meter gegen den Wind gerochen. Jeder Treffer mit dem hohen Absatz auf dem Asphalt klang wie ein Schuss, der in meinem Schädel widerhallte. Sie passte nicht in dieses Viertel. Hier gingen die Leute mit Lockenwicklern und knisternden Synthetik-Jogginghosen zum Einkaufen. Sie dagegen hatte einen braunen Business-Dress an, aufgepeppt mit einem teuren, St.-Patrick’s-Day-grünen Seidentuch. Klack – klack – klac k …
    »Entweder du kommst gleich am Dienstag wieder zur Frühschicht«, kam es von der anderen Seite der Leitung, »oder gar nicht mehr.«
    Aber das hörte ich kaum noch. Und auch nicht das Knacken, als Choi auflegte. Der Flashback sprang mich so überraschend an, dass ich nur noch wie angeschossen nach Luft japsen konnte, während mein Puls in die Höhe schnellte. Das Klack –

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