Schattenauge
Ziel, aber wir fangen mit Koppeltraining an. Hauptsächlich mit Leuten aus den zwölften Klassen. Du wärst die Jüngste im Kurs, deine Mutter müsste unterschreiben, dass sie damit einverstanden ist, weil du noch nicht volljährig bist. Für die richtigen Wettbewerbe musst du achtzehn sein, aber es soll auch ein langfristiges Projekt werden. Später würdest du in jedem Fall profitieren: Es laufen schon Absprachen für Sportstipendien, die von der Stadt vergeben würden – auch für ein Studium im Ausland.«
Zoë konnte wieder nur nicken, während ihre Gedanken kreuz und quer sprangen. Die Aussicht, vielleicht einmal die Chance auf ein Stipendium zu bekommen!
»Aber die anderen sind genauso gut wie ich«, wandte sie ein. »Paula läuft meistens bessere Zeiten.«
»Noch«, sagte Frau Thalis trocken. »Alles eine Sache des Trainings. Außerdem ist Paula keine Kämpferin wie du. Allerdings erwarte ich von dir, dass du für das Team kämpfst und nicht für dich selbst oder gegen irgendwelche Leute, mit denen du dich nicht gut verstehst. Übrigens: Wenn David dich stört, werde ich dafür sorgen, dass ihr euch nicht mehr über den Weg lauft. Training wäre dreimal die Woche. Du bekommst wie alle anderen zusätzlich einen Einzeltrainingsplan, für den du selbst verantwortlich bist. Du müsstest Freizeit opfern, aber ich bin der Meinung, es ist eine gute Investition. Trainingsfahrräder wird ein Sponsor aus der Stadt zur Verfügung stellen. Sechswöchige Probezeit mit Aufnahmetest. Also?«
Zoë hätte am liebsten einfach nur Ja gerufen. Aber dann fiel ihr Leon ein. Und all das andere.
»Ich… weiß nicht, ob meine Mutter unterschreiben würde«, sagte sie zögernd. »Nachmittags ist es meistens schwierig. Eigentlich kann ich nur am Freitag. Meine Mutter ist Krankenschwester und arbeitet im Schichtdienst und wir haben kein Geld für Kinderbetreuung. Ich muss meinen kleinen Bruder vom Kindergarten abholen und nachmittags da sein. Außerdem muss ich einkaufen und einmal die Woche Zeitungen austragen.«
»Du musst ziemlich viel«, bemerkte Frau Thalis. Überraschenderweise klang es mitfühlend.
»Na ja, ich muss eben … mithelfen.«
Frau Thalis musterte sie nachdenklich.
»Du bist sehr verantwortungsbewusst. Hat deine Mutter kein Netzwerk? Andere Mütter, die sich mit der Kinderbetreuung am Nachmittag abwechseln könnten?«
Nein, wozu? Sie hat doch mich und den Fernseher , dachte Zoë mit einem Anflug ihres alten Zorns. Stumm schüttelte sie den Kopf.
»Hm, es gibt Unterstützung seitens der Stadt, auch finanziell«, sagte Frau Thalis. »Vielleicht könnte sich deine Mutter einmal darüber informieren?«
»Das würde sie nie in Anspruch nehmen«, erwiderte Zoë. »Sie ist stolz darauf, dass wir von niemandem abhängig sind. Sie sagt, bevor sie Sozialhilfe oder Wohngeld annimmt, geht sie lieber nachts noch putzen.«
»Es ist leicht, stolz zu sein, wenn die Tochter den Preis dafür zahlt«, sagte Frau Thalis sanft. »Versteh mich nicht falsch, Zoë. Es liegt mir fern, deine Mutter zu kritisieren und mich einzumischen, aber ich möchte, dass du einfach für dich selbst Klarheit gewinnst. Deine Mutter verdient allen Respekt dafür, dass sie als Alleinerziehende für euch zwei sorgt. Und es ist ihr kein Vorwurf zu machen, dass sie überfordert ist. Aber hier geht es um dich: Du hast eine Zukunft, und du hast ein Recht auf deinen eigenen Freiraum.« Noch leiser fügte sie hinzu: »Ich kann gut verstehen, wie es dir geht. Es ist schwer für dich, und sicher bekommst du dafür nicht genug Verständnis. Aber manchmal trägt man bereitwillig Lasten, die eigentlich nicht die eigenen sind. Denk einfach mal darüber nach.«
Es war seltsam genug, mit einer Lehrerin, die erst seit ein paar Monaten an der Schule war, über ihr Privatleben zu sprechen, aber noch seltsamer war, dass Zoë ihr gerne noch viel mehr erzählt hätte. Vor allem über die fehlende Stunde. Aber es half auch so schon: Zum ersten Mal seit Wochen hatte sie das Gefühl, keine Last mehr zu tragen. Auch die Unruhe meldete sich nicht.
»Ich könnte vielleicht auch abends trainieren«, meinte sie dann. »Ich laufe ohnehin oft nach acht noch meine Trainingsrunde. Manchmal … sogar nachts.«
Frau Thalis lachte. »Um Himmels willen, bitte lass das, solange der Mörder dieser Obdachlosen noch nicht gefasst ist! Wir finden schon eine andere Lösung.« Sie stand auf und griff nach der Mappe. »Fürs Erste biete ich dir an, dass ich mit deiner Mutter spreche. Am
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