Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Titel: Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
Vom Netzwerk:
obwohl ich es bin, der er in die Augen sieht.
    «Du kommst zurück? Alleine?» Norrock schiebt die Hände in die Taschen seiner Lederjacke. «Ich dachte, du bringst sie mit ins Lager!»
    «Nein», sagt Thursen und sieht immer noch mich an. «Luisa kommt nicht mit.»
    «Wieso nicht? Du hast uns erzählt, wie du sie gefunden hast. Da ist sie doch eine von uns!»
    Jetzt dreht Thursen doch den Kopf. «Hau ab, Norrock!», grollt er. Leise. Drohend.
    Norrock grinst. «Wenn du darauf bestehst, dann gehe ich jetzt wohl mal lieber wieder. Ihr wollt euch sicher in Ruhe voneinander verabschieden.»
    Thursen nickt.
    «Abschied?», flüstere ich, sodass nur er es hört. «Nein, Thursen! Das meinst du doch nicht ernst?» Ratlos blicke ich zwischen Thursen und Norrock hin und her.
    Norrock fängt meinen Blick auf. Zwinkert mir zu. «Und du willst wirklich nicht mit, Luisa? Uns alle mal kennenlernen? Oder hast du Angst?»
    Ja, ich habe Angst. Aber nicht genug, um mich davon abzuhalten, mit Thursen zu gehen. «Was ist mit den Wölfen?»
    «Die hat Thursen doch wieder fest im Griff!»
    «Es reicht!» Thursen macht einen Schritt auf Norrock zu, und der weicht zurück, obwohl er fast einen halben Kopf größer ist als Thursen und doppelt so breit.
    Norrock zuckt die Schultern. «Deine Entscheidung,Kumpel. Ich bin im Lager. Lasst euch ruhig Zeit!», sagt er und macht sich durch die Büsche davon. Diesmal kann ich seine Stiefelschritte, das Geraschel der Zweige noch hören, als er schon im Dunkeln verschwunden ist.
    «Luisa», beginnt Thursen.
    Ich drehe mich wieder zu ihm. Schmecke die Wut auf meiner Zunge. Wut und Enttäuschung darüber, dass er über mich verfügt. Für mich entscheidet, als hätte ich keinen eigenen Willen «Thursen, wenn du mich auch vermisst hast, dann komme ich jetzt mit. Es ist mir egal, ob ihr nicht gut für mich seid oder die Polizei euch sucht, oder ihr von zu Hause abgehauen seid, oder warum ihr euch sonst im Wald versteckt. Ich habe die Nase so voll davon, dass immer die anderen wissen, was das Richtige für mich ist! Und immer ist das Richtige das, was am meisten wehtut!»
    «Luisa, wirklich, wir sind ganz anders, als du denkst.»
    «Mein Gott, was soll denn schon passieren, wenn ich wirklich mit dir ins Lager gehe? Lande ich im Jugendknast? Fallen die Wölfe wieder über mich her?»
    «Nein, natürlich nicht.»
    «Na, siehst du. Norrock hat es ja gesagt. Die Wölfe werden mir nichts tun, wenn du dabei bist. Wenn es doch gefährlich wird, kannst du mich später immer noch wegschicken.»
    «Später ist vielleicht zu spät», seufzt Thursen, mehr zu sich selbst. Und dann: «Hör zu, Luisa!»
    «Nein, jetzt hörst du mir zu. Ich lasse dich nicht noch einmal aus meinem Leben verschwinden!»
    Thursen hat einen Knüppel aufgehoben. Fasst ihn an beiden Enden, biegt daran herum. Sieht mich dabei an, als könnte er von meiner Stirn lesen, wie er entscheiden soll.
    «Thursen, bitte!»
    Der Stock zerbricht krachend, Thursen schleudert die Hälften mit beiden Händen fort. «Dann komm!» Er hält mir seine Hand hin. Diesmal zerrt er mich nicht mit sich. Diesmal hält er mich, damit ich den Weg finde im Dunkeln. Damit wir uns nicht wieder verlieren.

FÜNF
    An seiner Hand ist der Weg kurz. Die Bäume lichten sich, und der Mond scheint vom wolkenlosen Himmel. Bald haben wir Vollmond. Eine Fledermaus jagt mit eiligen Flügelschlägen über uns hinweg. Thursen hat sie auch gesehen. Er bleibt stehen, hebt einen kleinen Stein auf und wirft ihn hoch. Fasziniert beobachte ich, wie die Fledermaus auf den Kiesel zuschießt und ihn verfolgt. Sie bemerkt ihren Irrtum erst, als der Stein beginnt, zu Boden zu fallen. Wir gehen weiter. Irgendwo links von uns grunzen und quieken Wildschweine. Ich dränge mich näher an Thursen, packe seine Hand fester. Er drückt meine, beruhigend, als sie aus dem Unterholz treten. Zwei Bachen sind es und mindestens zehn gestreifte Frischlinge, schon fast so groß wie ihre Mütter. In langer Reihe, die Nase am Boden geschäftig schnaufend, laufen sie vorbei, ohne uns weiter zu beachten. Dann senkt sich der Boden, aber heute bin ich darauf vorbereitet und stolpere nicht. Wir sind im Lager angekommen. Das Mädchen ist wieder da, Sjöll. Schmal, zierlich und ganz in Schwarz gekleidet steht sie neben einem Eschenstamm. Trägt knöchelhohe Stiefel, Strumpfhosen und einen kurzen Rock wie eineTrauerballerina. Eine seltsame Kleidung, finde ich, viel zu unpraktisch für das Leben im Wald. Ihre Haare sind dichte

Weitere Kostenlose Bücher