Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter
Schritten.
Dann sind wir wieder in seinem Zimmer. Keiner von uns möchte Licht machen und die schützende Dunkelheit vertreiben. Die Dunkelheit, die es möglich macht, die Dinge auszusprechen.
«Du weißt, dass ich dich liebe, nicht?» Er streicht mir vorsichtig mit dem Finger über die Wange. «Immer, egal, was passiert, egal, was ich getan habe. Egal, was ich vielleicht noch tun muss.»
«Ja, das weiß ich. Und ich liebe dich. Ich wünschte nur, es wäre nicht immer alles so kompliziert.»
«Wenn wir nur zusammen sind, schaffen wir alles.» Er streichelt mich im Nacken, und ich schlinge meine Arme unter seinen hindurch um ihn. Ziehe ihn an mich, so fest ich kann. «Alles», flüstere ich. «Wir schaffen alles.» Halte mich an ihm fest und würde ihn am liebsten nie wieder –
Da stöhnt er auf. Vor Schmerz? Sofort lasse ich los. «Was ist?», frage ich.
«Nichts», stößt er zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Natürlich nichts! Meint er etwa, ich glaube ihm das? Ich schalte das Deckenlicht an. Er sieht angespannt aus, als suche er einen Fluchtweg. Doch ehe er eine Ausrede hat, bin ich wieder bei ihm und schiebe mit beiden Händen sein Shirt über dem Bauch nach oben. Enthülle zum zweiten Mal heute seine glatte Haut. Jetzt, im Licht, kann ich die dunklen Schatten sehen, blau wie Pfützen aus schlecht abgewischter Tinte winden sie sich um Brust und Rücken. Blutergüsse überall. Warum wollte er nicht, dass ich sie sehe? Warum hat er mir nichts davon erzählt?
«Du bist nicht beim Malern von der Leiter gefallen, oder?», frage ich, obwohl ich die Antwort darauf kenne.
«Nein.» Er will sein Shirt wieder runterziehen, aber ich lasse den Saum nicht los.
Was verheimlicht er mir? In welche Gefahr hat er sich gebracht, ohne dass ich davon auch nur etwas geahnt habe? «Thursen, wenn das kein Unfall war, was ist dann passiert?»
«Norrock. Ich war bei ihm.»
«Wann?»
«Gestern Nacht, nachdem ich bei der Polizei war. Ich wollte mit ihm reden. Luisa, es ist mir nicht egal, was die Wölfe tun, das musst du mir glauben.»
Er sieht nicht so aus, als hätte er mit Norrock nur geredet. «Hat er dich angegriffen?»
«Nein!»
«Was dann? Habt ihr miteinander gekämpft? Wie früher, als ihr um die Vorherrschaft im Rudel gestritten habt?»
Thursen lässt sich auf sein Bett fallen. «Damals waren wir beide Werwölfe. Wenn Norrock diesmal in Wolfsgestalt gekämpft hätte, wäre ich wohl nicht mehr hier, oder?»
«Thursen, du hast überall blaue Flecken.»
«Ich wollte reden, aber –» Thursen fährt sich mit der Hand übers Gesicht, als wollte er einen Gedanken wegwischen. Als er weiterspricht, ist seine Stimme hart und kalt wie poliertes Glas. «Ich habe ihm gesagt, was ich ihm sagen wollte. Ich denke, er hat mich verstanden. Es wird keine weiteren Toten geben.»
Für einen Augenblick sieht er wieder aus wie Thursen, der Rudelführer, der Leitwolf, der nichts erklären muss, der entscheidet und die Verantwortung trägt, ganz allein.
«Und was du ihm gesagt hast, wirst du mir nicht sagen, habe ich recht?», frage ich.
Thursen nickt nur.
Ich setze mich neben ihn. «Und wann erzählst du es mir?»
Ein kleines, bedauerndes Lächeln, das über sein Gesicht huscht, macht ihn wieder zu meinem Thursen. «Lass mir Zeit.» Er nimmt meine Hand, spielt mit meinen Fingern, gedankenverloren, wie jemand, der Strichmännchen aufs Papier kritzelt. «So viel war immer Wolfsgeheimnis.»
Ich ziehe meine Hand weg. «Versprich mir, dass du es mir erzählen wirst, wenn du so weit bist!»
«Versprochen», sagt er, dreht sich zu mir und zieht mich an sich. Ich kuschele mich in seine Arme und spüre seinen Atem in meinem Haar.
«Wie war es?», frage ich.
«Was?», kommt leise seine Antwort.
«Wie ist es, jemandem den Schädel einzuschlagen?»
Die Hand auf meinem Bauch bewegt sich ein wenig. «Man darf nicht nachdenken. Einfach tun, was getan werden muss.»
Ich dachte, wenn wir darüber sprechen, hört es sich ein bisschen weniger ungeheuerlich an. Aber das tut es nicht. Die Vorstellung ist immer noch entsetzlich. Trotzdem liebe ich ihn noch genauso wie vorher. Und seine warme Hand ist immer noch da.
Ich bleibe bei ihm, den ganzen Abend und dann die ganze Nacht. Wir liegen nur stumm da, aneinandergeschmiegt. Das also ist sie, unsere erste gemeinsame Nacht in diesem neuen Jahr. Die erste Nacht, in der keiner den anderen irgendwann allein lässt. Und auch wenn es nicht das ist, was wir uns vorgestellt haben, so
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