Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter
ziehe mir sein Shirt über. Ein Sommershirt, das er bestimmt noch nie im Sommer getragen hat. Im letzten Sommer lebte er noch als Wolf in den Wäldern.
«Ich geh ins Bad», sagt er.
Erschöpft lasse ich mich ins Bett fallen. Heute war einfach alles zu viel. Der lange Marsch durch den Wald, den ich nicht mehr gewohnt bin. Die Kälte, die mich bis auf die Knochen durchdrungen hat. Die Verwandlung. Und jetzt ist von meiner Kraft nichts mehr übrig, ich bin einfach nur leer.
Thursen kriecht neben mir unter die Decke. Sein Atem riecht nach Pfefferminzzahnpasta. Vorsichtig legt er sich neben mich, seinen Arm um meine Taille, langsam und tastend, als wollte er um Erlaubnis fragen.
«Ein Glück, dass du mich im Wald gefunden hast», sage ich. «Ich weiß nicht, ob sie mich sonst nach der einen Verwandlung hätten gehen lassen. Dann wäre ich jetzt vielleicht schon ein Werwolf. Musstest du lange nach mir suchen?»
«Luisa», beginnt er. Streicht mir übers Haar.
Ich richte mich auf und sehe ihn an. «Du hast mich nicht gesucht, oder? Du wusstest nicht mal, dass ich weg war?»
«Luisa, bitte, versteh.»
«Du hast nicht gesucht. Sag die Wahrheit, Thursen!»
«Es war Zufall.»
«Du wusstest nicht, wo ich war, aber du wusstest, wo die Wölfe sein würden, habe ich recht? Norrocks Werwölfe. Warst du bei ihnen, wenn ich dich mal wieder nicht erreichen konnte?»
«Luisa, ich habe dir doch von dem verdammten Eid erzählt!»
«Der, mit dem du das Rudel übernommen hast.»
«Ich hab was geschworen, damals. Zu den Wölfen zu gehören. Der Schwur gilt noch immer. Ich gehöre zu ihnen. Ich kann sie nicht verraten. Und natürlich weiß ich, wo sie sind.»
Ich muss ihm ins Gesicht sehen, sehen, wen ich da vor mir habe. Ist er überhaupt noch mein Thursen? Ich taste nach dem Schalter der Nachttischlampe.
Als der Lichtschein auf ihn fällt, sehe ich es. Er ist müde, komplett erschöpft und ausgepowert, auch wenn er es vor mir zu verbergen versucht. Unter seinen Augen graben sich die Schatten immer tiefer ein.
«Du gehst nicht mehr zur Schule, stimmt’s?»
«Doch. Ehrlich, ich versuche es.»
«Aber?»
«Unsere Feinde sind stark wie schon lange nicht mehr. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der alte Krieg wieder losbricht.»
Ich lasse mich hintenüber auf sein Bett kippen und halte die Hand vor die Augen. «Toll. Ich mag es, wenn du so geheimnisvoll bist, alles andeutest und in Wirklichkeit nichts sagst.»
«Du weißt, dass ich dir schon zu viel erzählt habe.»
«Mit den Werwölfen kannst du über alles reden, oder?»
«Ja», er lacht trocken auf, «und drüber streiten auch.»
«Wenn ich also ein Werwolf wäre, dann –»
Er nimmt mein Gesicht zwischen seine Hände und zwingt mich, ihn anzusehen. «Nein. Denk nicht mal dran!» Müde seufzt er, lehnt seine Stirn an meine und spielt mit meinem Haar. «Du wirst kein Werwolf. Versprich mir das! Es ist nicht gut für dich. Außerdem hast du mir doch selbst gerade eben gesagt, dass dir die Verwandlung Angst macht! Das, zu dem du dann wirst.»
Ich greife nach seiner Hand und drücke sie. «Ich will doch nur, dass es keine Geheimnisse mehr zwischen uns gibt!»
«Aber nicht so sehr, dass du dafür dein Leben wegwerfen würdest.»
«Du könntest mich zurückverwandeln.»
«Auch das möchtest du nicht durchleben.» Er lässt sich wieder zurück auf das Bett fallen. «Ich habe es erlebt, und es ist alles andere als angenehm. Es dauert Wochen, bis du endlich wieder richtig Mensch bist.»
«Es ist nur –»
«Es würde nichts ändern, wenn du Bescheid wüsstest. Vertrau mir einfach.» Er knipst das Licht aus, zieht mich zu sich und tippt mir einen Kuss auf die Lippen.
Ich lege meinen Kopf auf seine Schulter. «Ich hasse es, dass du nie da bist. Ich hasse, dass ich nicht weiß, was du tust im Wald. Und nicht, in welcher Gefahr du bist.»
«Ich liebe dich.» Er versucht, ein Gähnen zu unterdrücken, es gelingt ihm nicht ganz. «Auch wenn ich in Zukunft eine Menge damit zu tun haben werde, dafür zu sorgen, dass die Werwölfe am Leben bleiben. Darum habe ich in der Silvesternacht die Spuren an der Leiche verändert. Wegen unserer Feinde, nicht wegen der Polizei.» Seine Stimme wird leiser. «Ich bin vorsichtig. Und ich denke an dich, immer.»
«Dann bist du morgen wieder weg, oder?»
«Ja.» Kommt es von ihm, schon im Halbschlaf. «Aber ich komme wieder, Luisa. Immer wenn ich gehe, komme ich zurück.»
Ich kuschele mich an ihn und schlafe ein.
Schlafe ruhig und
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