Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenblüte. Die Erwählten

Schattenblüte. Die Erwählten

Titel: Schattenblüte. Die Erwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
Vom Netzwerk:
Sjöll. Sein Kiefer ist angespannt, und er beißt die Zähne mit aller Macht zusammen, als er langsam die Hand über dem toten Wolf ausstreckt. Sanft, fast zärtlich, entfernt er den silbernen Ohrring aus Sjölls pelzigem Spitzohr.
    Ihr Körper verwischt, zerläuft und ist ein Sekundenbruchteil später Mensch. Totenblasser, kalter Mensch. Sie trägt noch immer die schwarze Kleidung, an die ich mich so gut erinnere. Sjöll, die Schattenblüte. Sjöll, die Trauerballerina. Norrock streicht ihr die Haare hinter die Ohren.
    «Und jetzt?», frage ich, als wir alle um das tote Mädchen herumstehen, von dem ich nichts weiß, als dass sie Marie hieß. «Begraben wir sie wieder?»
    «Nein.» Norrock streicht Sjöll noch einmal übers Gesicht, greift in ihre Tasche und zieht ein gefaltetes Papier hervor. «Jemand wird sie hier finden.» Er richtet sich auf und gibt den Zettel, gefaltet, wie er ist, weiter an Rieke. «Dann können ihre Eltern sie begraben. Ich möchte, dass sie einen Grabstein kriegt mit ihrem richtigen Namen drauf.»
    «Und? Laufen wir jetzt endlich weiter?», fragt Polmeriak, als Norrock wieder steht. Sein Blick sucht den Himmel ab nach weiteren Drohnen. Doch da sind nur Krähen. Schnee und überall Krähen. Krähen auf den Bäumen und rings um uns auf dem Boden. Eine der Krähen hopst näher, legt den Kopf schief, guckt. Dann schnappt sie zu und schüttelt mit ihrem Schnabel die Schneeflocken aus Sjölls krausen schwarzen Haaren. Bald wird sie wieder den Namen Marie tragen. Sie sieht noch fast genauso aus wie auf dem Foto, mit dem im Fernsehen nach ihr gesucht wurde. Nicht so seltsam frühvergreist wie Krestor und Lurnak. Dafür war ihr Wolfsleben nicht lang genug.
    Thursen scheucht sie mit einem Fußtritt auf. «Wir machen den Kreis», sagt er. «Wir müssen den Neuen verwandeln.» Er sieht den Jungen an. «Du wirst einer von uns, das wolltest du doch, oder?»
    Der Neue nickt.
    «Du willst den Jungen verwandeln? Jetzt? Das ist doch nicht dein Ernst!», sage ich.
    «Genau», schaltet sich Rieke ein und öffnet ihren Rucksack. «Einen Augenblick musst du ihn mir noch lassen!»
    «Na los», sagt Norrock, sieht Rieke einen Moment lang forschend an, zieht seine Lederjacke aus, gibt sie ihr. «Erfrier nicht dabei, hörst du?»
    Rieke steckt Sjölls Zettel in ein abgegriffenes, altes Buch, das sie aus ihrem Rucksack geholt hat. Dann klemmt sie sich das Buch zwischen die Zähne und zieht Norrocks Jacke über ihre eigene. Sie ist ganz blass vor Kälte.
    Ich wende mich an Norrock, der nur im Pullover neben mir steht. «Frierst du denn jetzt nicht?»
    Er reibt seine Hände und grinst. «Ich habe doch gleich meinen Pelz.»
    «Natürlich.» Er friert tatsächlich nicht. Sein Zittern kommt vom Kampf gegen die Verwandlung. Leise, damit der Neue es nicht hört, setze ich hinzu: «Norrock! Ihr könnt ihn doch jetzt nicht verwandeln! Wie viele Tage soll er denn Wolf sein, ehe die Shinanim uns einholen und er an diesem verfluchten Silberkreuz stirbt?»
    Norrock wirft mir einen Seitenblick zu. «Länger, als er als Mensch gelebt hätte.»
    Rieke kniet etwas abseits neben dem Neuen, sodass wir nicht verstehen, was sie sagen. Sie hat das Buch aufgeschlagen auf ihren Knien liegen. Fast sieht es so aus, als wollte sie eine Art Zauber über ihn sprechen. Doch dann holt sie nur einen Stift aus der Jackentasche.
    «Thursen! Norrock!», ruft Irudit und kommt mit schnellen Schritten auf Norrock zu. «Die Zeremonie! Wir können den Neuen nicht ohne Wolfsnacht in das Rudel aufnehmen! Er muss symbolisch getötet und sein neues Leben mit Erde und Blut auf seine Stirn geschrieben werden, sonst kann er sich nicht endgültig verwandeln, das wisst ihr doch.»
    «Ach, hör auf, Irudit. Für solche Spielereien ist jetzt keine Zeit», sagt Thursen.
    «Du musst nicht jeden Scheiß glauben. Er wird auch so ein ganzer Werwolf werden.» Norrock schaut hinüber zu Rieke. «Fertig?»
    «Gleich!», ruft sie zurück. Sie schreibt mühsam auf die sich vom Schnee wellenden Seiten.
    Irudit fasst Norrock wütend an der Schulter und versucht, ihn mit einem Ruck zu sich zu drehen. «Das war alles gar nicht nötig?»
    Er winkt müde ab. «Komm mal klar, Irudit. Gerade dir hat die Zeremonie doch am besten gefallen!»
    Wir machen den Kreis.
    Rieke ist fertig, schlägt das Buch zu, und der Neue und sie kommen zu uns zurück. Der Neue wischt sich mit dem Ärmel über die geröteten Augen. Hat er geweint? Rieke zeigt ihm seinen Platz zwischen Zrrie und Norrock und

Weitere Kostenlose Bücher