Schattenblüte. Die Erwählten
wenig durcheinandergebracht. Hat er noch Zeit, sich frisch zu machen, Esther?»
«Bis zur Videokonferenz?» Esther schüttelt den Kopf. «Nein. Die Schaltung steht in sieben Minuten.»
«Also dann. Gehen wir.» Vittorio schreitet voraus, Esther an seiner Seite, ich folge mit Jordan. Eine Treppenwindung tiefer erreichen wir eine Doppeltür, die Esther für uns öffnet. Dahinter liegt ein Raum, nicht allzu groß, aber mit Leuchten auf Stativen, Kameras und Mikrophonen ausgestattet.
«Von diesem Kommunikationsraum aus können wir über verschlüsselte Kanäle live in alle Welt senden», erklärt Jordan und übernimmt das Schaltpult vom Techniker, der rasch den Raum verlässt. Vittorio nimmt an der vorgesehenen Position vor dem Mikrophon Platz, Esther dirigiert mich auf den Stuhl rechts von ihm und setzt sich an seine andere Seite.
«Alles bereit, wir können.» Jordan gibt ein Zeichen, und Vittorio grüßt in die Kamera. Auf den Bildschirmen an der Wand vor uns kann ich verfolgen, wie von allen Erdteilen Rückmeldungen eingehen. Dort sitzen sie jetzt, die Obersten des Rates, und erwarten, was Vittorio ihnen mitzuteilen hat.
In düsteren Farben beschreibt er, was die Werwölfe im Laufe unserer Geschichte alles angerichtet haben, wie sie im Schatten des Dreißigjährigen Krieges ungehindert wüten und sich vermehren konnten, wie viel Kraft und Anstrengung es unseren Orden gekostet hat, die Werwölfe zu finden, sie zu isolieren, bis wir schließlich dachten, sie seien ausgestorben.
«Doch seit dem Gregorius-Zwischenfall wissen wir, dass sie noch existieren», verkündet Vittorio mit dramatischer Stimme. Auf den anderen Bildschirmen bleibt es stumm. Bislang hat Vittorio nichts erzählt, was sie nicht schon wussten.
Gemurmel gibt es erst, als Vittorio Bilder von den letzten Werwolfsopfern einblenden lässt. Auf dem Hauptmonitor erscheinen auch bei uns Bilder von dem toten Jungen im Tegeler Forst, dem schwerverletzten Mädchen aus dem Tiergarten. Eines der Bilder zeigt Selina. Die Bisswunden sind nicht zu übersehen.
«Wir müssen sie stoppen», sagt Vittorio und berichtet, dass ganz normale Menschen beginnen, sich in Werwölfe zu verwandeln, dass diese Sache sich unter den Menschen ausbreitet wie eine bösartige Seuche. Dass es unsere Aufgabe sein muss, die Werwölfe davon zu heilen und davon abzuhalten, andere anzustecken.
Es ist Sergej aus Russland, der um das Wort bittet und dann die entscheidende Frage stellt. Wir sind alle sprachbegabt, aber mein Russisch ist nicht sehr gut, trotzdem verstehe ich ihn ohne Mühe: «Wie wollt ihr das tun?»
«Wir wissen es noch nicht exakt, aber wir werden es sehr bald herausfinden», erklärt ihm Vittorio. «Wir haben die Sünderkreuze aus der alten Burg wieder aufgestellt und mit neuem Silberblech beschlagen.» Jordan schwenkt die Kamera auf mich: «Wir haben Elias bei uns, den einzigen lebenden Shinan, der bereits mehrmals mit Werwölfen gekämpft hat. Und …», Vittorio macht eine Pause. «Wir haben in dieser Minute zwei Werwölfinnen in unserer Obhut. Sie bekommen eine spezielle Betreuung und werden die ersten sein, denen wir mit all unserem Wissen und Können den Wolfsdämon ein für alle Mal austreiben werden. Wenn es uns bei ihnen gelingt, können wir das ganze Rudel retten. Dann endlich ist die Gefahr für alle Zeiten gebannt.»
Stille. Vittorios Worte haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Zwei Werwölfinnen im Gewahrsam des Ordens, das muss die Oberen weltweit sprachlos machen. Leises Knistern dringt aus den Lautsprechern, als jemand sich auf seinem Stuhl bewegt.
Nach einer ganzen Weile kommt eine Rückmeldung aus Irland. Siobhans Gesicht erscheint auf dem großen Bildschirm. «Wir möchten die Werwölfinnen sehen», sagt sie, offenbar noch immer atemlos. «Wenn es möglich ist.»
Vittorio lächelt. «Jordan, können wir auf die Kamera im gesicherten Raum umschalten?»
Jordan fährt mit dem Finger über den Touchscreen, lauscht in seinen Knopf im Ohr, der ihn wohl mit den Wächtern vor dem Wolfsraum verbindet, und antwortet dann: «Leider nein.»
Vittorios Stimme bleibt nachsichtig. «Jordan, bitte.»
«Es tut mir leid», sagt Jordan. «Wir haben ein technisches Problem mit der Kamera im gesicherten Raum. Ich blende eine Aufzeichnung ein.»
Wir sehen Haddrice, wie sie von zwei Helfern an das Kreuz gefesselt wird. Wie sie schreit und spuckt und um sich tritt, ganz die wilde Bestie, die in ihr wohnt.
Vittorio geht zu Jordan hinüber. Und während der kleine Film
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