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Schattenblüte. Die Erwählten

Schattenblüte. Die Erwählten

Titel: Schattenblüte. Die Erwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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Haddrice «Ich komme», und mein Bewusstsein verschwimmt.
    Haddrices Pfoten eilen voraus. Wir riechen den Weg, auf dem alle kommen. Das Haupttor ist geschlossen, dort stehen die mit den brennenden Augen. Viele von ihnen. Mein Fell sträubt sich beim Gedanken an sie. Wir laufen am Zaun entlang. Ein alter Zaun. Eine Wildschweinfährte hilft. Ich halte die Nase auf dem Boden. Wildschweine suchen Graswurzeln. Wann waren sie hier? Wir folgen den letzten Resten ihres Geruchs.
    Da ist ihr Weg. Ein Loch im Draht, hinter Gebüsch versteckt. Wir rennen hindurch. Ein Park, Bäume, Sträucher, dann Richtung Autogebrumm. Warum hier entlang, Haddrice? Zu viele Menschen auf den Straßen, laut, lärmig, fremd. Nichts ist bekannt. Wir rennen trotzdem. Weg von den Bösen. Wir sind verletzt, beide. Und wir dürfen nicht ruhen. Noch nicht. Suchen unseren Wald.
    Doch Haddrice wird langsamer. Drängt mich über Betonplatten in eine Einfahrt, neben einen Müllcontainer. Verkriecht sich dahinter.
    Und wird Mensch.
    Ich tue es ihr gleich.
    Haddrice sitzt auf dem Boden, den Kopf an die Wand gelehnt. Einen Ellenbogen hält sie mit der Hand an den Körper gedrückt. Ihre Augen sind geschlossen.
    «Was ist, Haddrice?»
    «Diese Schweinepriester. Meine Schultern!» Sie fummelt mit schmerzverzerrtem Gesicht in ihrer Jackentasche herum und zieht einen zerknickten Geldschein hervor. «Da drüben ist eine Apotheke. Besorgst du mir Schmerzmittel?»
    «Klar.» Zum ersten Mal seit meiner Verwandlung bin ich in der Stadt unterwegs. Die Gerüche und Geräusche stürzen auf mich ein. Über das Dach zu laufen war leichter als das hier.
    «Möglichst starke!»
    Ich weiß, welche Tabletten wir brauchen. Der Name, der auf der Schachtel stand, ist mit das Erste, an das ich mich erinnern kann. Meine erste Erinnerung als Werwölfin, das und Thursens Gesicht. Thursen hat mir während meiner Heilung diese Tabletten gegeben. Die Werwolfkräfte beschleunigen die Heilung, aber die Schmerzen sind die Hölle.
    Als ich mit den Tabletten zurückkomme, ist Haddrice ein Wolf. Zusammengerollt liegt sie hinter dem Müllcontainer. Als ich sie anfasse, verwandelt sie sich zurück. Sie ist trotz menschlicher Gestalt fast nicht ansprechbar. Ich muss ihr die Tabletten in den Mund schieben. Und dann muss ich ihr den Plastikbecher mit Wasser, den ich aus der Apotheke mitgebracht habe, an den Mund halten, denn sie kann die Arme nicht mehr heben. Wenigstens schluckt sie.
    «Besser?»
    «Ich mach sie fertig, die Shinanim.» Sie lächelt ein Wolfslächeln. «Ein Gutes hat es doch: Wir wissen jetzt, wo wir sie finden, diese Folterknechte. Die kommen nicht davon. Wir gehen zum Rudel zurück, Shorou. Dann holen wir uns Verstärkung und machen den ganzen Laden platt. Erst bringen wir sie einen nach dem andern um, und dann fackeln wir die Bude ab.»

[zur Inhaltsübersicht]
    21. Elias
    AUF dem Bildschirm verfolgen wir, wie Haddrice ans Kreuz gefesselt zum Wolf werden will. Die schwebenden Schatten um sie herum werden zu Fell. Dann schreit sie auf. Die Shinanim, die sich um sie kümmern, wollen ihr Wasser bringen, doch sie beschimpft sie wüst, spuckt geradezu vor Wut. Es ist nur zu deutlich, dass sie, trotz menschlicher Gestalt, kein Mensch mehr ist. Ich folge den Bildern mit gebanntem Entsetzen. Esther ist es, die mich antippt und auf Vittorio aufmerksam macht. Mit einem Kopfnicken bedeutet er mir, ihm zu folgen. Im Hinausgehen höre ich, wie Jordan die Video-Aufzeichnung abbricht und Esther sich für die technischen Probleme entschuldigt, die sie leider dazu zwingen, die Konferenz mit Vittorio auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.
    Ich bin mir sicher, dass ich Vittorios Frage an Jordan richtig interpretiert habe. Es gibt keine technischen Schwierigkeiten, die Werwölfinnen sind geflohen. Vittorio eilt in wahrer Shinan-Geschwindigkeit voraus zur Treppe, und ich folge ihm ebenso schnell eine Etage aufwärts. Hier in unserem eigenen Gebäude gibt es keinen Grund, den Schein zu wahren, wir Shinanim seien nicht mehr als Menschen. Wir sind schneller und benötigen viel weniger Schlaf. Vermutlich ist es so auch gelungen, dieses Gebäude in schwindelerregender Zeit zu errichten. Doch in diesem Flur sind sie trotzdem noch nicht ganz fertig. Ein Gerüst steht im Gang, auf dem Shinanim-Künstler liegen und umrahmte Felder in der Decke mit Fresken ausmalen. Wir gleiten mit schnellen Schritten über dickes Papier, das den Marmorboden schützt. Ein Stück den Gang entlang sind sie bereits

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