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Schattenblüte. Die Erwählten

Schattenblüte. Die Erwählten

Titel: Schattenblüte. Die Erwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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sehe ich an ihrem Gesicht, wie die Erinnerung, die ganze Erinnerung, über sie hereinflutet. «Meine Entscheidung? Hast du überhaupt eine Ahnung, warum ich zum Werwolf werden musste? Wer mich so zugerichtet hat, dass ich ohne Verwandlung gestorben wäre?» Sie macht einen Schritt auf mich zu, rammt ihre Fäuste gegen meine Brust und schubst mich rückwärts. «Elias, du bist so ein Arsch! Haben die da hinter der Tür überhaupt eine Ahnung …»
    Da ist es wieder. Haddrices Schrei. Hier hört man ihn noch gellender als draußen auf der Treppe.
    «Haddrice!», ruft Luisa. «Wo bist du, Haddrice?»
    «Luisa», beginne ich, doch sie unterbricht mich.
    «Ja, das war mein Name. Aber jetzt bin ich Shorou, die Werwölfin, und ich will, dass du mich zu Haddrice bringst.»
    Da sind wieder ihre Schatten, bereit, zu Fell zu werden. Sie kann sich erinnern und will doch wieder Wolf werden? «Du solltest lieber hier drinbleiben.» Ich will nicht mit ihr kämpfen müssen, schon gar nicht, wenn sie sich an mich erinnert, mit mir redet und so schrecklich menschlich wirkt. «Wir waren Freunde, daran erinnerst du dich doch jetzt?»
    «Ja, wir waren mal Freunde. Aber das war, bevor ich fast umgebracht wurde!»
    Wie hätte ich sie denn beschützen sollen? «Ich wurde von einem von euch Werwölfen fast umgebracht, und ich gebe dir dafür auch nicht die Schuld!»
    Sie öffnet den Mund, doch ihre Stimme formt keine Worte mehr, rutscht in raue Tiefen, ist kaum mehr als ein Knurren. Sie ist eine Werwölfin, das darf ich nicht vergessen. Da ist ein Tier in ihr, das jagen und töten will. «Hör zu, du darfst dich nicht verwandeln. Ich sage dir, wo Haddrice ist und wie es ihr geht.»
    «Ich will nicht wissen, wo ihr sie hingebracht habt, ich will zu ihr! Sofort!»
    «Schon gut!» Und wieder hebe ich beschwichtigend die Hände. Ob ich das in einem Löwenkäfig auch täte? Beiß mich nicht, friss mich nicht, sei ein guter Löwe? Für mich ist Luisa immer noch Mensch. «Ich bring dich zu Haddrice.»
    Sie nickt. «Dann los.»
    «Elias, wir müssen dringend mit dir sprechen!», ruft Esther durch das Guckfenster.
    «Nicht jetzt!» Ich ziehe den Schlüssel aus der Tasche und gehe zur Tür. «Macht die Gänge frei, wir kommen raus!», rufe ich durch das Fenster.
    «Elias! Das geht nicht! Vittorio will dich sofort in seinem Raum sehen!»
    «Später, er wird es verstehen. Und verschwindet, oder ich kann nicht für eure Sicherheit garantieren.» Ich drehe den Schlüssel im Schloss, damit sie sehen, dass ich es ernst meine. Und da flüchten sie tatsächlich. Hastig eilen sie den Gang entlang, Türen klappen. Ich warte einen Moment, dann öffne ich die Tür, und Luisa und ich gehen auf den leeren Gang hinaus. Luisa ist dicht neben mir. Jeder Schritt fällt ihr schwer. Ich habe mich nicht getäuscht, sie humpelt wirklich. Wer war es, der versucht hat, sie umzubringen? «Du bist immer noch verletzt?»
    «So schnell heilen auch wir Werwölfe nicht.»
    «Es tut mir leid, was dir passiert ist.»
    «Ach wirklich?»
    «Ja, wirklich.» Ich biete ihr meinen Arm als Stütze an. Doch sie weicht aus, stolpert fast dabei. «Deine Hilfe brauche ich bestimmt nicht, Elias. Bring mich endlich zu Haddrice.»

[zur Inhaltsübersicht]
    18. Luisa
    ELIAS geht neben mir den leeren Gang entlang. Weiße Wände, aber keine Fenster. Er bringt mich zu einer dicken Holztür, der Schlüssel steckt von außen. Ich will aufschließen, doch Elias ist schneller als ich, greift zu und dreht ihn im Schloss. Die Tür springt auf. Ich dränge mich an ihm vorbei hinein.
    Haddrice steht mit Silberketten gefesselt an einem Kreuz, die Arme ausgebreitet wie eine Jesusfigur. Ihr Kopf hängt herab. Ihre Arme sind an den Schultern geschwollen und verdreht. Als hätte sie versucht, die Welt zu umarmen und wäre gescheitert.
    Von oben fällt Licht auf sie. Es ist, als wollte der Wintertag all seine Kraft durch das bunte Oberlicht schicken und sie einhüllen in seinen Schein.
    Ich laufe auf sie zu. «Haddrice?»
    Sie reagiert nicht. «Habt ihr Wasser?», frage ich Elias, ohne den Blick von ihr zu nehmen.
    Ich höre ihn näher kommen, dann füllt er leise plätschernd ein Glas mit Wasser aus einem Kristallkrug und reicht es mir. «Hier, das ist Himmelswasser, das stärkt sie im Kampf gegen ihre Schatten.»
    Ich kenne die Shinanim und ihre Vorliebe für Regenwasser. Ich habe es selbst oft genug getrunken, damals in der WG . Haddrice wird es nicht schaden und hoffentlich ihre Lebensgeister wecken. Ich

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