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Schattenblüte. Die Erwählten

Schattenblüte. Die Erwählten

Titel: Schattenblüte. Die Erwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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fertig. Die Deckenbilder, Engelsmotive natürlich, erstrahlen prachtvoll wie die in der Sixtinischen Kapelle.
    «Die Werwölfinnen sind verschwunden, ist das richtig?», frage ich.
    Vittorio antwortet nicht, sondern greift nach seinem Handy. «Ja», sagt er zu jemandem. «Ja, ich möchte, dass du alles vorbereiten lässt, Felicity.»
    Als er sein Gespräch beendet hat, frage ich wieder. «Wie konnte das passieren? Hat sie jemand hinausgelassen? Konnten sie sich befreien?»
    «Gleich. Komm erst einmal zur Ruhe, Elias.» Vittorio drückt seine Handfläche gegen ein Sensorfeld an der Wand neben einer mächtigen, mit prächtigen Schnitzereien verzierten Tür. Nach ein paar Herzschlägen leuchtet ein schwacher Schein zwischen seinen Fingern hervor, als würde seine Handfläche glühen. Es klickt leise, und Vittorio drückt die Tür auf.
    Ich versuche zu schweigen und betrachte stattdessen, was ich sehe. Der Raum des Erzshinan, des Höchsten unseres Ordens, ist überraschend schlicht. Ein Engelsbild und eine Ikone an der rechten Wand. Gegenüber ein einfacher Schreibtisch, dahinter hängt das Banner mit dem Knotenzeichen der Shinanim an der Wand. Mein Blick fällt nach links, auf die hohen Fenstertüren, hinter denen der winterkahle Park liegt. Wildwucherndes Gestrüpp hat die Symmetrie der Beete zerstört. Doch man ahnt noch die Eleganz der geschwungenen Wege zwischen den alten Bäumen. Ein Oberlicht in der Decke lässt zusätzliche Helligkeit in den Raum fließen.
    «Ich denke, wir sollten uns unterhalten, Elias», sagt Vittorio und bietet mir mit einer Handbewegung einen Platz auf dem Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch an. Er selbst nimmt gegenüber in dem Drehsessel aus braunem Leder Platz. Ich setze mich, sehe ihn an und wünschte, er könnte mir etwas von der Ruhe überlassen, die er ausstrahlt. Vielleicht würde das die Erinnerung an die Schreie und das Knurren und Wüten der Werwölfin dämpfen. Ruhig versuche ich zu atmen und mich daran zu erinnern, warum ich hier bin. Ich bin der, der endlich Ruhe und Frieden in diese Stadt bringen will. Ich bin der, der vorhat, die Menschen Berlins zu schützen und dafür eine Gruppe junger Shinanim von überallher zusammengeführt und ausgebildet hat.
    «Du willst wissen, was mit den Werwölfinnen geschehen ist», sagt Vittorio. «Doch bevor ich dir das beantworten kann, habe ich erst einmal ein paar Fragen an dich.»
    Natürlich. Im Moment bin ich vor allem der Werwolfexperte, deshalb hat Vittorio mich hierherkommen lassen. «Was wollt Ihr wissen, Vittorio?»
    «Alles, was du weißt. Alles, was uns helfen könnte.» Er hebt die Hände und lässt sie wieder fallen. «Wo soll ich anfangen? Werwölfe verwandeln sich also nicht nur bei Vollmond?»
    «Nein, sie können sich verwandeln, wann immer sie wollen.»
    «Und sie leben im Wald?»
    «Ja. Sie leben in einer Art Lager, es ist sehr versteckt und nicht leicht zu finden.»
    «Du weißt, wo genau ihr aktuelles Lager ist?»
    «Nein, woher denn?»
    «Ja, woher, Elias.» Vittorio legt bedächtig seine Fingerspitzen aneinander. «Du hast ein auffällig großes Interesse an diesen Werwölfen, findest du nicht?»
    «Sie sind eine große Gefahr für unseren Orden. Ihr wisst sicher von meinem Vorhaben, dass die Shinanim den Menschen wie in alten Zeiten als Schutzengel zur Seite stehen sollen. Die Angriffe der Werwölfe gefährden die Sicherheit der Menschen und sind schwerer abzuwehren als Streitereien der Menschen untereinander.»
    «Du hältst sie also für gefährlich.» Vittorio nickt. «Trotzdem bist du erstaunlich angstfrei mit ihnen umgegangen.»
    «Haddrice war mit versilberten Ketten an das Kreuz gefesselt. Von ihr ging zu diesem Zeitpunkt keine Gefahr aus.»
    «Ihren Namen weißt du auch?», unterbricht mich Vittorio, ehe ich weitersprechen kann.
    «Ich habe gehört, dass Thursen sie so nannte.»
    «Thursen. Haddrice. Und den Namen der anderen Wölfin kennst du ebenfalls?»
    «Sie nennt sich Shorou.»
    «Aber du hast sie mit einem anderen Namen angesprochen.»
    «Luisa. So hieß sie, als sie noch Mensch war.»
    «Du kanntest sie schon damals?»
    «Ja. Wir waren befreundet.»
    «Wart ihr befreundet, bevor oder nachdem du erfahren hast, dass sie die Gefährtin des Leitwolfs ist?»
    Das sind Fragen, die ich bereits Josias beantwortet habe. Vittorio kann mir nicht erzählen, dass er das nicht weiß. «Dass sie Thursen kennt, habe ich erst später erfahren.»
    «Da hast du natürlich sofort jeden Kontakt zu ihr abgebrochen und den

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